Gemischte Gefühle
Strömen übers Gesicht. Etwa hundert Meter bewältigte er mit dem Stampfschritt, dann verstärkte er einfach den Druck der Skier, um eine bessere Haftung der Bretter zu erreichen.
Seine Arme und Beine waren mit Blei gefüllt. Keuchend torkelte er weiter.
Aber Carlo Dettori schien es noch schlechter zu ergehen, denn Ralf kam ihm immer näher.
„Grätenschritt, Ralf.“
Wieder gehorchte er willig. Seine Skier waren nach außen gewinkelt, auf die Innenkanten gestellt und die Knie nach innen gedrückt. Seine Stockschübe wurden immer kraftvoller.
Hat denn diese Qual noch immer kein Ende, dachte er verzweifelt. Ich kann nicht mehr, verdammt noch mal, ich bin am Ende.
„Paß auf, Ralf! Stehenbleiben!“
Er rang nach Luft.
Dettori war die Anstrengung zu groß geworden. Der Italiener fiel auf den Bauch und rutschte den Abhang hinunter – genau auf Ralf zu.
Ralf wirbelt herum und fuhr ein Stück zurück. Dann nach rechts.
„Treppenschritt nach rechts!“
Sofort drückte er die Knie in Richtung Hang, stellte den Bergski eine halbe Fußlänge nach vorn, riß ihn hoch und setzte den Talski nach.
Dettori rutschte an ihm vorbei in die Tiefe. Er versuchte sich mit den Händen festzukrallen, konnte die immer schneller werdende Fahrt jedoch nicht bremsen.
„Weiter, Ralf.“
Einen Augenblick sah Ralf dem Italiener nach. Dettori stieß mit Eraldo Tardelli zusammen und riß den Schweizer mit sich.
„Schau nicht hinunter!“ brüllte Peter. „Los, Bewegung. Reiß dich zusammen!“
Ralfs Körper schmerzte. Jede Bewegung tat ihm weh. Seine Hände brannten vom Druck der Stockschlaufen.
Die Qual ging weiter. Im Grätenschritt stieg er weiter hoch. Vor seinen Augen drehte sich alles.
„Nur noch ein kurzes Stück, Ralf, dann hast du es geschafft.“
Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, als er endlich das Flachstück erreichte, das zum Sessellift führte. Mit ein paar klassischen Langlaufschritten hatte er ihn erreicht.
„Jetzt haben Sie einige Minuten Zeit, um Ralf wieder aufzubauen, Mandel.“
„Er ist total erschöpft“, brummte der Arzt und hantierte an seinen Geräten herum.
Ralf hatte sich angeschnallt. Seine Augen waren geschlossen. Langsam begannen die Mittel zu wirken, die Mandel injizierte. Sein Atem wurde ruhig, der Pulsschlag war innerhalb von wenigen Minuten völlig normal.
Während das Fernsehen die aufregendsten Szenen des Rennens wiederholte, verschaffte sich Peter einen Überblick über Ralfs Konkurrenten.
Bob David führte überlegen mit einem Vorsprung von fast zehn Sekunden vor Gerard Lacombe, hinter dem Ralf mit etwa sechs Sekunden folgte. Nur wenige Sekunden trennten ihn von Steve Paradise und Jean Kelly, der seinen enormen Rückstand inzwischen wettgemacht hatte. Eraldo Tardelli hatte noch immer nicht den Sessellift erreicht. Sein Rückstand betrug fast eine halbe Minute. Carlo Dettori hatte aufgegeben. Ihm war der Langlauf zu schwierig gewesen.
Sechs Läufer waren noch im Rennen. Harper war tot. Rowe hatte schwere innere Verletzungen davongetragen. Und Carlo Dettori hatte das Handtuch geworfen.
Ralfs Chancen waren gar nicht übel, stellte Peter Sullivan fest. Der zweite Teil der Stecke lag ihm außerdem besser. Wenn alles glattging, dann war ein dritter Platz durchaus möglich.
Helga Gottwald hatte sich zusammen mit Bert Zinnemann den ersten Teil der Abfahrt angesehen.
Die hysterischen Anfälle, die der Manager während der Übertragung bekommen hatte, trieben sie allerdings in ihr eigenes Zimmer zurück.
Sie wollte allein sein.
Helga steckte sich eine Zigarette an und drückte sie schon nach drei Zügen wieder aus.
Sie schaltete den Fernseher ein.
Ihr wurde übel, als sie die Wiederholung von Harpers Todessturz sah.
„Das hätte auch Ralf sein können“, flüsterte sie.
Obwohl sie wegzusehen versuchte, trieb es sie zurück zum Fernseher und dem mörderischen Rennen, das noch mindestens fünf Minuten dauern würde. Fünf Minuten. Eine Ewigkeit.
„Herr im Himmel, laß ihn durchkommen.“
„Das Rennen geht weiter!“ brüllte der Fernsehkommentator. „Bob David stürzt sich in die Tiefe!“
Sie wandte sich ab, wollte nicht hinsehen.
„Das ist der steilste Hang, der je in einem Abfahrtsrennen gefahren wurde. Dagegen ist die Streif eine Vergnügungsstrecke.“
Helga blickte wieder hin und hielt den Atem an.
Die vereiste Piste fiel fast senkrecht ab. Wer hier zum Sturz kam, war ein toter Mann.
„Im Augenblick ist David mit Tempo 170 unterwegs“, kreischte der
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