Gemischte Gefühle
Sprecher. „Verfolgen Sie die Zahlen am unteren Ende des Bildschirms. Wird er 200 schaffen?“
185. 190.
„Und nun hat auch Gerard Lacombe das Rennen aufgenommen!“
Der Bildschirm war nun in zwei Hälften geteilt. Auf der linken Seite sah man Lacombe im violetten Anzug. Auf der rechten Seite der rosa Anzug Davids, der ein dahinrasender Blitz zu sein schien. 195. 196.
„Ja, David schafft es. Zweihundert!“
Helga setzte sich.
„Und nun greift auch Ralf Mayer ins Geschehen ein.“
Sie biß die Zähne zusammen. Ihre rechte Hand verkrallte sich im Polster.
Und da war er schon. Der Bildschirm nun dreigeteilt.
Ein blutrotes Schemen, die Stöcke unter die Arme geklemmt, tief in der Hocke, immer schneller werdend.
Sie wollte nicht hinsehen, doch sie konnte den Blick nicht abwenden …
Ralf fühlte sich wie neugeboren. Fortgeblasen waren die Schmerzen und die Müdigkeit. Nichts mehr war von seiner Erschöpfung geblieben. Mandels Zaubermittel hatten wieder einmal gewirkt.
Der Steilhang kam seinen Fähigkeiten entgegen. Hier konnte er Furchtlosigkeit und technisches Können beweisen.
Weit vor sich sah er einen violetten Punkt, der langsam größer wurde. Er kam Lacombe immer näher. Ralf konnte David nicht sehen. Der Amerikaner mußte bereits den Engpaß erreicht haben.
Ralf blieb in der Hocke. Voller Schuß!
Und der violette Punkt vor ihm wurde groß wie ein Tennisball, dann fußballgroß.
„Um Himmels willen, Ralf, nicht so schnell!“
Er war nur noch etwa hundert Meter hinter Lacombe, als er mit Tempo 140 auf den Engpaß zuschoß. Die Piste wurde schlechter und seine Fahrt langsamer.
Nun war schon die zwei Meter breite Durchfahrt zu erkennen, die zum Engpaß führte.
Lacombe schoß zwischen den Stangen hindurch, und Ralf hatte dicht aufgeschlossen.
„Nicht so nahe! Du rammst ihn ja.“
Ralf richtete sich etwas auf und hielt den Abstand zu Lacombe konstant.
„Er kann es schaffen“, sagte Peter. „Er kann es schaffen.“
Fünf Läufer hatten den Steilhang genommen und fuhren den Engpaß entlang.
Eraldo Tardelli schaffte es nicht.
Peter hatte schon viele Stürze gesehen, aber so einen noch nie.
Tardelli überschlug sich zehnmal, wurde auf ein Flachstück geschleudert und sprang zweimal wie ein Gummiball auf.
„Den hat es zerrissen“, flüsterte Holzer.
„Nur noch fünf sind im Rennen, Ralf. Eben ist Tardelli gestürzt. Laß dich weiter zurückfallen, verdammt noch mal. Jetzt kommt gleich die Schanze!“
Bob David hatte bereits die Anlaufspur erreicht. Er ging in die Hocke und raste die achtzig Meter hinab, die zum Schanzentisch führten. Es war eine Normalschanze, auf der ein guter Skispringer etwa achtzig Meter weit springen konnte. Aber hier sprangen Abfahrtsläufer, die diese Disziplin natürlich alle geübt hatten. Hier kam es darauf an, möglichst weit zu springen, da es nach dem Auslauf sofort in einen Steilhang ging.
David kam zu früh ab. Sein Flug war alles andere als schön. Er mußte korrigieren, ruderte herum, landete ziemlich unsanft und fiel hin.
„Wieder einer weniger“, sagte Peter.
Aber David war ein zäher Bursche. Er stand sofort auf und stapfte unverdrossen den Auslauf hoch.
Und da war auch schon Lacombe heran. Auch sein Absprung war nicht perfekt und seine Haltung alles andere als schön. Aber mit Abfahrtsskiern und Stöcken sprang es sich nun einmal nicht besonders gut. Er zischte den Auslauf hoch und schaffte es, den dahinterliegenden Steilhang zu erreichen.
Diese verdammten Stöcke, dachte Ralf, als er die Anlaufspur herunterschoß.
Aber an viel mehr konnte er nicht denken, denn da war schon der Schanzentisch heran.
Als die Skispitzen den Schanzentisch verließen, drückte er sich weg und schnellte den Körper aus dem Kniegelenk in die Luft. Die Skier lagen eng nebeneinander. Die Stöcke hielt er mit den Armen an seinen Körper gepreßt.
Der Flug war ruhig und weit.
Aber nun kam das schwierigste: der Aufsprung.
Er hielt die weite Vorlage bei. Die Knie zog er etwas hoch. Skier und Knie hielt er fest zusammen. Er landete ohne Schwierigkeiten, schoß den Auslauf hoch, und Sekunden später ging es wieder einen Steilhang hinunter.
„Gut, gut, sehr gut, Ralf.“
Ralf grinste. Skispringen hatte ihm schon immer Spaß gemacht.
Jetzt ging es durch Tiefschnee. Er folgte der Spur, die Lacombe gezogen hatte.
Nur noch der Tunnel, der relativ harmlos war. Dann das heimtückische Labyrinth, in dem man leicht die langsamste Spur erwischen konnte –
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