Gemischte Gefühle
plädieren nicht dafür, den Holunderberg in seiner jetzigen Form zu belassen. Wir plädieren auch nicht für einen allumfassenden Kahlschlag, nur um die Grundstücke irgendwelchen Geschäftemachern in den Rachen zu werfen. Unsere Forderung ist klar: Sanierung statt Planierung! Und gemeinsam werden wir es schaffen. Nur gemeinsam sind wir stark; stark genug, um Nowossny und dem Stadtrat zu widerstehen. Stark genug, um unsere Rechte durchzusetzen. Wir geben nicht nach.“
Wieder brandete Beifall auf, flatterte wie ein Vogel über die zahllosen Köpfe, und es waren Greise und Kinder, Männer und Frauen, Jugendliche und Junggebliebene, die hier standen und zeigten, daß sie sich nicht herumstoßen ließen wie ausrangierte Möbelstücke. Mehr als die Hälfte der Holunderberg-Bewohner und viele Bürger aus der restlichen Ruhrstadt nahmen an dieser Protestversammlung teil, und befriedigt erkannte Robby, wie die grünlackierten Mannschaftswagen der Bereitschaftspolizei unter dem Druck des Beifalls zögernd in die Seitenstraßen zurückwichen. Robby hatte fast Mitleid mit den Polizisten, von denen manche vermutlich mit den Demonstranten sympathisierten, aber die Anordnungen des Polizeipräsidenten und Stadtrates befolgen mußten. Es war klar, daß Pfeife und die Nowossny-Gang nur auf einen Zwischenfall warteten, um die Bürger gegen Baumafia zu kriminalisieren und die Demonstration mit Gewalt zu zerschlagen.
Unruhe keimte plötzlich in Robby auf. Forschend sah er sich um, sah in verschwitzte Gesichter, gerötet von der Wärme des Maitages, sah Augen, die blitzten und funkelten und nicht mehr stumpf und kraftlos waren wie in der Vergangenheit, und es war wirklich erstaunlich, was Nowossny binnen kurzer Zeit zustande gebracht hatte.
Eine Stimme gellte auf. „Geh’n wir runter in die Stadt und zeigen wir denen, was ’ne Harke ist!“
Die Stimme war wie ein Stich, wie der Biß einer Flamme, und der Argwohn schlug über Robby wie eine dunkle Welle zusammen. Er tauschte mit Angela einen knappen Blick, und in ihren zärtlichen, spitzbübischen Mauseaugen sah er, daß sie ebenfalls verstanden hatte und sein plötzliches kaltes Mißtrauen teilte. In der Menge schüttelte jemand drohend eine Faust. „Wir holen Pfeife aus dem Rathaus!“ brüllte die gleiche Stimme und ein Arm schleuderte einen Flachmann in die Richtung der Polizisten, während die Landesjugendsekretärin des DGB das eilends zusammengezimmerte Podium frei machte und Otto Adalbert Mühleisen, Tabakwarenladenbesitzer auf dem Holunderberg und erbitterter Feind Nowossnys und seiner Sippschaft, Solidaritätsadressen zu verlesen begann.
„Komm“, sagte Robby kurz zu Angela und begann sich durch die Menge zu schieben, hin zu dem Großmaul, das unverdrossen weiterhetzte und allmählich zustimmendes Gemurmel erntete. Aus einer Seitenstraße schob sich langsam und leise brummend und wie abgesprochen der erste gepanzerte Wagen. „Man muß Nowossny und Pfeife aufhängen“, machte sich der Schreier wieder bemerkbar.
Eine Hand berührte Robbys Schulter. Er sah sich um, lächelte schwach. Es war Hubert Hetschneider, gefolgt von einigen grün geschminkten Mitgliedern der Sonnen-Kommune. „Da macht einer Stunk“, raunte Hubert ihm zu. Er war klein und blaß, und seine Haare begannen an den Schläfen bereits zu ergrauen. „Es ist widerlich, wer sich heutzutage alles einmischt. Die Leute werden schon unruhig.“ Gewöhnlich verbrachte Hubert Hetschneider seine Zeit damit, aus leeren Eierkartons surrealistische Aktionsskulpturen zu basteln, die er nach Fertigstellung mit den Freaks der Sonnen-Kommune auf dem Hinterhof verbrannte, als Symbol für die Vergänglichkeit des Menschen und den Triumph der Braunschen Bewegung, aber seit er – wie alle Bewohner des Holunderberges – seinen Kündigungsbrief erhalten hatte, setzte er seine gesamte künstlerische Energie für das Design der Flugblätter der Bürger gegen Baumafia ein. Gemeinsam drängten sie sich durch die widerstrebend zur Seite weichenden Massen und erreichten endlich den Schreihals, einen zerlumpten, langhaarigen jungen Burschen mit fanatisch glühenden Augen, dessen Lumpen allerdings einen gepflegt-zerlumpten Eindruck machten, dessen Haare nach Shampoo und Man No. 1 dufteten, und dessen Fanatismus durch einen Schnellehrgang erworben worden war.
„Wir werden den Bonzen zeigen, wer die Macht hat“, grölte der Bedarfs-Revoluzzer und schüttelte wieder die Fäuste mit den manikürten Fingernägeln. Dann war
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