Gemischte Gefühle
Unterammergau, seh ich einen Bauernhof; Gelächter; leichte Unruhe bei den Vertretern der konservativen Fraktion; Heiterkeit bei den Sozialliberalen)
StV Bange (konservative Fraktion): Ruhe. Wer sich nicht an die Geschäftsordnung hält, wird des Saales verwiesen. Stadtverordneter Fröhlich, bitte.
(Zwischenruf: ‚Der ist doch nur so fröhlich, weil ihm Nowossny genügend Geld in den Arsch steckt’)
StV Bange (konservative Fraktion): Ruhe!
Baudezernent Jonegan: Was is’n hier los?
StV Fröhlich (konservative Fraktion): Herr Baudezernent, was ist Ihrer Meinung nach Ursache für die derzeitige radikale Verleumdungskampagne gegen das Wohnraumbeschaffungsprogramm Holunderberg?
Baudezement Jonegan: Was is’n das für’n Scheiß?
(Befremden unter den Stadtverordneten; Zwischenrufe ‚Der Kerl ist ja betrunken’; ‚Wie immer’; Gelächter)
StV Immer (konservative Fraktion): Herr Dezernent, ich möchte die Frage meines Vorredners aufgreifen und insbesondere …
Baudezernent Jonegan: Pfeife, man hat mir was reingetan …
OStD Pfeife: Wie?
StV Bange (konservative Fraktion): Herr Baudezernent, darf ich fragen …
Baudezernent Jonegan: Nein, du Affe.
OStD Pfeife: Herr Jonegan!
Baudezernent Jonegan: Wie?
StV Immer (konservative Fraktion): Würden Sie bitte auf meine Frage antworten, Herr Dez …
Baudezernent Jonegan: Geh’ mir nicht aufn Geist, du Arsch.
StV Bange (konservative Fraktion): Mäßigen Sie sich, Jonegan!
(Zwischenrufe; Unruhe)
Baudezernent Jonegan: Hurensöhne. Man hat mir was reingetan … He, Pfeife, weißt du, was deine Frau jetzt treibt?
OStD Pfeife: Wie?
Baudezernent Jonegan: Die treibt’s mit Petroli.
OStD Pfeife: Wie?
StV Bange (konservative Fraktion): Jonegan, wie kommen Sie …
(Zwischenruf: ‚Die erste interessante Sitzung dieser Legislaturperiode’; Buhrufe; Gelächter bei der radikaldemokratischen Fraktion)
Baudezernent Jonegan: Halt’s Maul, Bange. Du weiß doch am besten, wie’s bei so Orgien zugeht. Schnaps und Weiber, wie? Hab ich dich nicht letztens bei Nowossny gesehen?
StV Bange (konservative Fraktion): Ich verbitte mir …
Baudezernent Jonegan: He, klar. Im blauen Salon, mit nacktem Arsch und zwei Weibern, die genauso viel trugen wie jetzt Pfeifes Alte.
OStD Pfeife: Jonegan, Sie … Das wird ein Nachspiel haben. Darauf können Sie sich verlassen.
Baudezernent Jonegan: Wie?
(Zwischenrufe: ‚Tragt den Kerl weg’; Unverschämtheit’; ‚Bravo, weiter so’; Tumulte; Gelächter bei der radikaldemokratischen Fraktion)
Illegaler Mitschnitt einer außerordentlichen nichtöffentlichen Sitzung des Stadtrates von Ruhrstadt – Hearing Holunderberg-Problem
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STOPPT DIE SPEKULANTEN! JETZT!
Flugblattext
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… hat die rechte Seilschaft im Ruhrstädter Rathaus erneut eine Kostprobe ihres bereits sattsam bekannten Talentes zur Verhetzung und Vernebelung gegeben. Während Pfeife, Oberstadtdirektor von Ruhrstadt, Bauernhofbesitzer in Unterammergau und gefürchteter Blut-und-Boden-Mystiker der konservativen Fraktion, die nahende Krise der Ratssitzung durch seine bekannten nichtssagenden Statements zu verzögern suchte und mehrere Minuten für Unruhe im Saal sorgte, bis ihn sein einsichtiger Referent (und nebenberuflich Pfeife-Lobhudeler in der WAZ) in die hinteren Ränge zerrte, verzettelte sich Baudezement Jonegan bei dem anschließenden Hearing durch zeitraubende Nebensächlichkeiten und peinliche Ausbrüche. Jonegan, sturzbetrunken und von den Drahtziehern der Holunderberg-Affäre nur ungenügend auf die Fragen der Ratsmitglieder vorbereitet, ließ es sich nicht nehmen, im Zuge der Anhörung statt Informationen über die Nowossny-Pfeife-Bange-Verschwörung pikante Details über das Privatleben der illustren Politaristokratie von Ruhrstadt zu liefern. Weitere Nachforschungen wurden allerdings durch das einminütige Verlassen des Saales durch die konservative und sozialliberale Fraktion verhindert. Den Vertretern der Radikaldemokraten blieb eine weitere Anhörung des unglücklichen Baudezernenten leider verwehrt. Jonegan, von alkoholseliger Müdigkeit überrascht, schlief seinen Rausch auf dem Boden des Ratssaales aus und wurde von OStD Pfeife und seinem Referenten aus dem Raum geschleift.
Das eigentliche Problem, die Holunderberg-Affare, blieb – natürlich – unerörtert.
Artikel in DIE NEUE
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