Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gemischte Gefühle

Gemischte Gefühle

Titel: Gemischte Gefühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
Vom Netzwerk:
die nun in bedrohliche Nähe geraten war, „zeigt ihr wahres Antlitz. Mit Gewalt sollen Hunderte von Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben und einem ungewissen Schicksal ausgesetzt werden. Oberstadtdirektor Pfeife hat sich dem Druck der Nowossny-Sippe gebeugt. Gerüchte besagen, daß ein Bauernhof in Unterammergau keine geringe Rolle bei dieser Entscheidung des Rates gespielt haben soll. Liebe Leute, hier ist Livemann Luster über Alternativ-TV. Eine Armee rückt an, um den Holunderberg der Gewalt der Planierraupen und Spekulanten auszuliefern. Ich … Da, ich sehe, wie die Polizei die Straße mit Metallgittern absperrt.“ Die Kamera machte einen Schwenk. „Eingesperrt. Ein gigantisches Verlies. Wasserwerfer werden in Stellung gebracht. Hier und dort sehe ich einige Männer mit der chemischen Keule hantieren. Offenbar rechnet man mit Widerstand … Die Stimmung unter den Bewohnern des Holunderberges ist gedrückt. Alte Frauen, die hier seit ihrer Geburt zu Hause sind, werden von Nachbarn gestützt und getröstet. Dramen spielen sich hier ab. Liebe Leute, Livemann Luster berichtet direkt vom Holunderberg. Ich – und Sie –, wir sind Zeugen einer unglaublichen Intrige. Eine Demonstration war für heute morgen beantragt, wurde aber unter fadenscheinigen Vorwänden von den Behörden auf die Abendstunden verlegt. Wir wissen nun, warum. Ist der Holunderberg noch zu retten?“
    Robby ballte die Faust. Jemand stieß ihn in die Rippen. Es war Angela, und ihre Kakaohaut war nun dunkel von dem Blut, das ihr Herz schnell und hart durch die Adern preßte. „Wir haben alle informiert“, keuchte sie. „Miguel telefoniert noch wie ein Irrsinniger, aber die wichtigsten Leute – vom DGB über die Radikaldemokraten bis zu den Fortschrittlichen Philatelisten – sind informiert.“
    „Es ist zu spät, verdammt“, sagte Robby. „Schau dir das an. Die lassen keinen mehr raus und keinen mehr rein.“
    „Kein Geldsack auf dem Holunderberg“, schrie jemand. Andere Stimmen fielen ein. „Wir wollen unser Recht!“
    Die Polizisten zögerten, schienen sich nicht wohl in ihrer Haut zu fühlen, und vielleicht würden viele von ihnen eher auf der anderen Seite der Barrikade stehen, aber sie standen dort bei den Wasserwerfern und Metallgittern, den gepanzerten Wagen, den Mannschaftstransportern, dort, wo Nowossny stand, nicht körperlich, sondern als unseliger Geist, der über ihnen wie ein Schatten lastete.
    „Nach einem gültigen Gerichtsbeschluß“, quäkte eine megaphonverstärkte Stimme, „werden sämtliche Häuser des Holunderberges geräumt. Wir fordern Sie auf, den Gerichtsbeschluß zu respektieren. Notunterkünfte stehen für Sie bereit. Die Wobau hat für jeden Haushalt einen Möbelwagen bereitgestellt, der ihre persönliche Habe abtransportieren wird. Vermeiden Sie jeglichen Widerstand – in Ihrem eigenen Interesse. Sie haben dreißig Minuten Zeit. Jeder, der nicht auf dem Holunderberg ansässig ist, wird aufgefordert, das gesperrte Gebiet umgehend zu verlassen. Haben Sie Verständnis dafür, daß wir zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung Ihre Personalien aufnehmen müssen. Ich …“
    „Aasgeier raus!“ schrie jemand.
    „Sie da!“ quäkte das Megaphon. „Sie mit der Kamera! Schalten Sie sofort ab!“
    „Den Teufel werde ich tun“, knurrte Luster und filmte mit grimmiger Miene weiter.
    „Was sollen wir nur machen?“ murmelte Robby ratlos.
    „Kamera sofort abschalten“, quäkte das Megaphon. Es klang, als würde ein heiserer Frosch schreien.
    „Ich …“ begann Robby und verstummte dann. „Was ist das?“ stieß er schließlich hervor und deutete auf die Barrikade aus Metallgittern, hinter denen sich die Polizisten verschanzt hatten. Das Grün ihrer Uniformen wurde von anderen Farben getrübt, und plötzlich kam Bewegung in die Beamten.
    „Dieses Gebiet ist gesperrt“, erklärte der Mann am Megaphon hektisch. „Treten Sie zurück!“
    Transparente wurden sichtbar. DGB GEGEN BAUSPEKULANTEN. Menschenstimmen antworteten dem Megaphon. FREIHEIT FÜR DEN HOLUNDERBERG. Immer mehr Menschen wurden sichtbar, ließen die Polizisten sich zurückziehen. Der Mann am Megaphon fuchtelte mit den Händen. Unter den Bewohnern des Holunderberges schlichen sich Erleichterung und Hoffnung als Gäste ein, als der Menschenstrom von unten aus der City nicht abriß. Und auch von der anderen Seite, dort, wo weniger Polizeifahrzeuge standen, näherte sich eine zunächst kleine, dann immer größer werdende Menge, die Fahnen

Weitere Kostenlose Bücher