Gemischte Gefühle
Beschwerden.“
Von draußen erklangen Sprechchöre. „Jedes Haus bleibt steh’n, oder Pfeife kann geh’n.“
„Zweifellos“, intonierte Luster, „ist die Atmosphäre gespannt; kein Wunder nach den Provokationen durch Verwaltung, Polizei und Wobau. Sie“, fuhr er fort und wandte sich an Hubert Hetschneider, „sind …“
„Ein Aktionskünstler“, keuchte Hubert nervös und fummelte an seinem Adamsapfel herum. „Eierkartons sind das Menetekel unserer Zeit. Ich habe in meiner Wohnung eine Ausstellung organisiert. Ich lade alle ein. Alle. Holunderberg vierunddreißig. Es ist genial, und jeder darf kommen. Kaltes Bier steht im Kühlschrank und …“
Luster fluchte unterdrückt.
Die Sprechchöre waren jetzt lauter. „Sägt Nowossny am Holunder, hau’n wir ihn zur weichen Flunder.“
Mit Mühe gelang es dem Livemann, Hetschneider aus dem Aufnahmebereich der Videokamera zu entfernen. Er blendete über zu Angela, verweilte kurz und lustvoll auf ihrer dünnen Bluse und glitt dann weiter. Eine Gestalt in einer eitergelben Toga stakste die Treppen hinunter. „Die Sonne ist das Rad, das sich in Ewigkeit dreht“, erklärte die Gestalt versunken, „und wir kreisen mit dem Rad, und manche werden auch zermalmt, wie dieser Stinker Nowossny zum Beispiel.“
Robby blinzelte. Ihm war ganz entgangen, daß die Freaks der Sonnen-Kommune die Schriften des Apostels Ferdinand Schmackes, Vers 1 bis Refrain 6, den aktuellen Gegenbenheiten angepaßt hatten, aber vielleicht erklärte dies auch Angelas plötzliche weltliche Einstellung, die mit einem enormen Engagement in der Bürger gegen Baumafia -Initiative einherging und auch Robbys Gefühle nicht vernachlässigte.
„Haut den Bange in die Pfanne“, intonierten draußen die Sprechchöre. Ihre Lautstärke schwoll weiter an; offenbar hatten viele die abendliche Großkundgebung nicht abwarten können und fanden sich bereits jetzt auf dem Holunderberg ein. Robby runzelte die Stirn. Wieder erfaßte ihn die Unruhe, wie damals bei der Entdeckung des Agent provocateur, und er drehte sich aus einer Ahnung heraus zur Tür, die in diesem Augenblick krachend aufsprang. Pete Paranoia (alias Achim Krotzer) stand keuchend im Türrahmen und fuchtelte mit seinen tätowierten Spinnenarmen herum. Terrier Protkop riß die Augen auf und strich unwillkürlich seinen rosa geblümten Bademantel zurecht.
„Bullen“, quetschte Pete hervor. „Tausende. Millionen. Eine ganze Armee. Sie wollen die Häuser räumen.“
„Mehr Licht!“ brüllte Luster. „Verdammt, wo bleibt das Licht?“
„Entschuldigung“, sagte Robby und schwenkte den starken Scheinwerfer. Pete Paranoia blinzelte in dem grellen Glanz. „He, was soll das? Habt ihr sie noch alle?“
„Keine Aufregung“, beruhigte Luster souverän. „Alles noch einmal für unsere Fernsehzuschauer.“
„Wahnsinn“, sagte Don the Dope, quetschte sich an Robby vorbei und glitt an Petes Seite, drückte ihm eine LP in die Hände und verschwand blitzartig im Hintergrund. „Aufnahme läuft“, brüllte Luster.
„Bullen“, rief Pete erneut und bemühte sich, sein Keuchen so echt wie möglich zu gestalten. „Tausende. Millionen. Sie wollen den Holunderberg räumen.“ Das LP-Cover glitt hoch. All what I want is a nuclear bomb. „Das wird rausgeschnitten“, verkündete Luster grimmig. „Ich …“
Robby hörte nicht mehr zu. Hastig schob er sich an dem Gründer der Nightmares vorbei und sprang auf die Straße. Einige Dutzend Bewohner des Holunderberges hatten sich vor dem Haus versammelt und Zulauf von den ersten Teilnehmern der für den Abend geplanten Demo erhalten und blickten mit verbissenen Gesichtern der heranrollenden Fahrzeugkolonne entgegen, die sich wie eine metallene Riesenschlange den Holunderberg hinaufwand. „Scheiße“, fluchte Robby. Aus den Häusern strömten immer mehr Menschen, aber als sie die vielen gepanzerten Autos erblickten, schienen die Schultern herunterzusacken, die Mienen sich zu verdüstern.
Die Witwe Rumberger trat an Robbys Seite und umklammerte kampfbereit ihren abgesägten Besenstiel. „Angela telefoniert bereits“, flüsterte sie. „Wir hätten die Demonstration früher ansetzen sollen. Jetzt weiß ich auch, warum man den ersten Termin verboten und uns auf die Abendstunden vertröstet hat.“ Robby nickte nur. Ein flaues Gefühl rumorte in seiner Magengegend.
„Die Staatsgewalt“, sagte Luster hinter ihm und schob die Videokamera über Robbys Schulter, richtete sie auf die Fahrzeugkolonne,
Weitere Kostenlose Bücher