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Gemischte Gefühle

Gemischte Gefühle

Titel: Gemischte Gefühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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scheinbar achtlos sinken und wartete in Wirklichkeit doch mit höchster Aufmerksamkeit auf die geringste Regung … um dann, wenn der Hieb des Horns erfolgte, zur Seite zu schnellen und den Strang der Elektropeitsche über die gerippte Haut zu ziehen.
    Doch dann änderte sich der Ablauf plötzlich auf unvorhergesehene Weise. Die Bestie schien von Minute zu Minute an Kraft und Schnelligkeit zu gewinnen, der Mann, der immer noch ruhig und gelassen vorging, wurde mehr und mehr in die Verteidigung gedrängt, er erhielt einen Schlag mit dem Horn und noch einen, er war verwundet und wehrte sich immer noch, und er bekam weitere Schläge, die ihn an der Abwehr hinderten, und zuletzt lag er bewegungslos, mit zerschmetterten Knien am Boden und suchte die Angriffe mit der Machete abzuwehren. An dieser Stelle erwachte Christa aus ihrer Erstarrung. Sie drehte sich um und preßte ihr Gesicht gegen ein Kissen. Sie kannte jede Szene des Geschehens, das dort ablief – kein Kampf mehr, sondern nur noch die letzten Zuckungen einer Kreatur, die systematisch und effektvoll abgeschlachtet wurde. Es sah fast so aus, als fühlte sich die Bestie nun überlegen, als wollte sie den Spieß umkehren und beweisen, daß auch sie die Spielregeln kannte. Und so kam dieser Tod nicht unvorhergesehen und überraschend, sondern allmählich, Stück für Stück, und er zerstörte nicht nur den Körper, sondern auch den Stolz des Mannes, der da am Boden lag und begriff, daß er besiegt worden war und daß es mit ihm zu Ende ging.
    Als Christa die Augen öffnete, war der Bildschirm dunkel und Alf saß nachdenklich auf der Couch.
    Christa nahm ihre ganze Kraft zusammen, um ihre Erregung zu unterdrücken. Sie stand auf, trat vor und setzte sich neben Alf. „Hast du dir den Kampf genau angesehen?“ fragte sie.
    Alf nickte.
    „Er hat verloren“, sagte Christa. Sie schwiegen eine Weile.
    Dann fragte sie: „Willst du es nicht aufgeben?“
    Alf blickte sie erstaunt an. „Weshalb aufgeben?“
    „Hast du es nicht gemerkt? Das Tier war ihm überlegen. Du mußt es doch beobachtet haben: wie sich plötzlich sein Verhalten änderte, wie es den Schlägen auswich und selbst mit seinen Hieben traf. Hast du keine Angst, auch du könntest ihm unterlegen sein?“
    „Ich habe alles genau beobachtet“, antwortete Alf. „Der Mann wurde müde. Gewiß, er war tüchtig, aber die Kondition hat nicht gereicht. Man muß mit dem Gegner wachsen – das hat er nicht fertiggebracht. Er bekam etwas ab, und er hat sich viel zu schnell ergeben. Er hat seinen Tod verdient.“
    „Wie hart du bist“, flüsterte Christa.
    „Ich muß hart sein, sonst kann ich diese Kämpfe nicht bestehen.“
    „Du gibst nicht auf, auch wenn ich dich darum bitte?“
    „Nein“, antwortete Alf.
     
    Es war erst sein vierter Kampf – das genügte noch nicht, um zum Publikumsliebling zu avancieren. Aber jeder der Kämpfe war ein Schritt auf seinem Weg, und schon jetzt fühlte er die Ruhe des Routiniers. Die Vorbereitungen gingen so selbstverständlich vor sich, daß er ihnen keinerlei bewußte Aufmerksamkeit schenken mußte, und die Schritte hinunter zum Schleusentor, durch das die Gladiatoren in die Arena traten, waren ihm schon so vertraut, daß er sich auch im Schlaf zurechtgefunden hätte.
    Und dann stand er draußen, im rieselnden Sand, gepanzert, mit Machete, Elektropeitsche und Flammenwerfer ausgestattet. Ohne zu zögern bewegte er sich auf die Mitte zu. Wie aus weiter Feme drangen die Sprechchöre an sein Ohr, mit denen ihn das Publikum feierte. Es war ein rauschhaftes Erlebnis, und er brauchte es wie ein Süchtiger die Droge.
    Sein Herz schlug keine Spur schneller als sonst, und er war so ruhig, daß er sich selbst beobachten konnte: seine Aktionen, seine Entschlüsse, seine Gefühle. Er wußte, daß er der geborene Kämpfer war. Wie kann einer auf die Dauer bestehen, wenn er an die Gunst des Publikums denkt oder an Geschäfte in der Werbung oder in den Shows?
    Er hob die Peitsche und ließ sie knallen, daß die Funken sprühten … Er wollte das Tier, das dort drüben hockte, herausfordern, aus der Ruhe bringen.
    Jetzt bewegte es sich, eine Hornspinne, fast noch größer als jene, die er gestern auf dem Bildschirm verfolgt hatte. Auf ihren acht Beinen glitt sie über den Sand wie ein Luftkissenfahrzeug, und obwohl sie sich auf einer weiten Spirale rund um ihn herumbewegte und ihm in halbseitlicher Stellung zugewandt war, hatte er den Eindruck, daß sämtliche rote Augenpaare auf ihn

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