Gemischte Gefühle
Indien. Da ich die vergangenen Tage vor der kanadischen Küste das Abschlachten der allerletzten Robben gedreht habe (tolle Bilder; die neue 4-X-Video-Kamera vermittelt den Eindruck, als spritze einem das Blut direkt ins Gesicht), bin ich nicht auf dem laufenden. Nach allem, was ich bisher weiß, scheinen in Bangladesh wieder eine Menge Menschen am Verhungern zu sein. Eigentlich scheußlich, solche Verhungernden, aber ich habe das schon einmal mitgemacht. Man gewöhnt sich an alles; nichts als Routine.
WW-TV hat mehrere aktuelle Berichte und ein 45-Minuten-Feature bestellt. Feine Sache, damit ist eine Menge Geld zu machen. Vor der Abreise muß ich aber noch mit Wolf Maier von der WW-TV sprechen, diesmal sollen die mir nicht die Butter vom Brot nehmen; die ausländischen Verwertungsrechte müssen bei mir bleiben. Besonders da ich mir vorstelle, das Feature diesmal um den Themenkreis „Mutter – Kind“ herumzubauen. Wenn so ein halbverhungertes Kleines mit brauner Haut über dem aufgequollenen Bauch an den schlaffen Brüsten der auch schon fast toten Mutter kaut – das sind Bilder, die den Zuschauer ansprechen. Und so was läßt sich auch spielend international vermarkten.
28. Mai
Vor der Abreise.
Gerade war ich bei Maier. Alles geregelt. Zuerst wollten die bei WW-TV einen Aufstand veranstalten, aber dann haben sie doch klein beigegeben. Besonders als ich ihnen das Telex unter die Nase hielt, auf dem International Sensation mich aufforderte, für sie in Bangladesh zu drehen. Gut, daß ich Ted bei IS-TV kenne; irgendwann werde ich ihm den kleinen Freundschaftsdienst mit dem getürkten Telex schon vergelten können.
Habe die Kamera noch einmal durchgecheckt. Alles okay. Nur das Zoom wollte zuerst nicht recht; irgendein Schmutzpartikelchen muß sich an der Schiene festgesetzt haben. Mit dem Staubpinsel war schließlich auch das in Ordnung zu bringen. Seitdem die TV-Anstalten sparen und nur noch Einmann-Berichterstatter bezahlen wollen, muß ich besonders sorgfältig darauf achten, daß mit der Kamera immer alles in Ordnung ist.
Früher, als ich gelernt habe, bestand ein Team immerhin aus vier Leuten: Kameramann, Kamera-Assi, Toningenieur und (eventuell) Beleuchter. Dazu kam dann noch der Reporter, der oft genug abseits vom Team seine Recherchen anstellte. Seit zehn Jahren, also seit etwa 1985, mit der Einführung der ersten Allround-Kameraausrüstung mit Einmannbedienung, ist das alles überflüssig geworden. Nun bin ich mit meiner Kamera allein vor Ort: Als Reporter und Kameramann in einer Person; das eingebaute Richtmikro auf Schwenkachse sowie der automatische Lichtausgleich, der selbst bei schlechtesten Lichtverhältnissen das Drehen noch erlaubt, haben auch die restlichen Teammitglieder überflüssig gemacht. Manchmal stört mich freilich das Reportagemikro direkt vor meiner Nase, aber da die neue 4-DX-Video praktisch selbsttätig arbeitet, sobald ich sie auf ein lohnendes Motiv gerichtet habe, kann ich mich doch sehr auf den Text konzentrieren, den ich auf das fertig geschnittene Material spreche, wie ich es auf dem (leider etwas zu kleinen) Monitor sehe.
30. Mai
Gestern kam ich nicht dazu, wenigstens einige Eindrücke festzuhalten.
Der Flug verlief ruhig, der Service an Bord der Maschine war, wie immer in den letzten Jahren, miserabel. Der Zoll in Dakka machte einige Schwierigkeiten, aber auch daran habe ich mich schon gewöhnt. Bis ich dann in meinem Hotel – dem „Metropol“ – war, ging gerade die Sonne unter. Nach einem schnellen Imbiß und einem erneuten Checking der Kamera, die (toi, toi, toi) die Reise gut überstanden hat, blieb gerade noch Zeit für einen Drink an der Bar. Dort traf ich dann einige Kollegen, die bereits seit Tagen hier sind, darunter Jose Amadillo von Brazil Inier und Hajime Suzuma von Nippon Standard TV sowie Terry Marx, der für eine Privatfirma an einer Dokumentation über „Katastrophen 1995“ arbeitet. Jose und Terry kenne ich von mehreren Einsätzen her, unter anderem aus Zentralafrika von der großen Flut und von dem Erdbeben vor zwei Jahren auf den Ryukyu-Inseln. Hajime Suzuma war mir bisher nur vom Hörensagen bekannt; er gilt als scharfer Hund, der überall hart am Ball bleibt. Alle drei Konkurrenten, gewiß, aber auch prima Kumpels.
Heute habe ich als erstes einmal die Stadt in Augenschein genommen. Sie ist total überfüllt, da die Bevölkerung vom Lande hereinströmt in der Hoffnung, hier etwas zu essen zu bekommen. Doch da die
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