Gemischte Gefühle
einen potenten Geldgeber gefunden; die amerikanische Ölfirma wollte Bildmaterial für den hausinternen Gebrauch. Das hat sie auch bekommen, zur Genüge. Leider ist davon natürlich nie etwas über den Sender gegangen. Das gesamte Material liegt noch bei der Firma – was die daraus gemacht haben, ist mir unbekannt. Eigentlich schade, denn ich hatte zum Beispiel exklusiv, wie die Eingreiftruppe das Erdölministerium „gesäubert“ hat. Mann, war das ein Spektakel, die Jungs haben ganz schön gewütet. Starkes Material war das. Na ja, wenigstens hat die Ölgesellschaft gut bezahlt. Und weiterempfohlen hat sie mich auch. Seitdem bin ich gut im Geschäft und habe, glaube ich, inzwischen einen prima Riecher für zuschauerwirksame Bilder entwickelt. Das kommt einem bei einem Einsatz wie hier in Bangladesh, wo so gar nicht viel los ist, gut zustatten. Wo nichts ist, muß man halt was zaubern.
Heute sind Jose und ich weiter von Dakka ins Landesinnere gefahren. Etwa fünfzig Kilometer, dann fanden wir, wonach wir suchten. Hier auf dem flachen Land ist die Not in der Tat schlimmer als dicht vor den Toren der Hauptstadt. Mein Feature nimmt immer mehr Gestalt an. Von den Kurzberichten habe ich bereits einige abgeschickt. Die 4-DX-Video bewährt sich wieder einmal, auch bei solchem Routinekram.
Die Erde ist hier knochentrocken und hat teilweise mehrere hundert Meter lange Risse. Wo man hintritt, wallt feinpulvriger Staub auf. Den Regen vorletzte Nacht muß das Land wie ein Schwamm geschluckt haben. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Durch meine Sauferei gestern abend, aber auch wegen des verteufelten Staubs überall, habe ich einen solchen Brand, daß ich schon fast eine ganze Flasche Bourbon ausgetrunken habe. Mein Kopf fühlt sich an wie ein wattegefüllter Ballon.
Die Menschen liegen hier auf den Straßen, auf den Feldern, in den Häusern, kurz überall herum und regen sich nicht mehr. Ausgemergelte Gestalten, denn flüssige und feste Nahrung fehlt. Was mir fehlt, ist „action“! Ich traf einen UN-Beauftragten, der sich vor Ort ein Bild von der Katastrophe machen wollte. Jose war gerade am anderen Ende und versuchte, ein Interview mit einem Bauern zu erhalten. Der UN-Beauftragte schätzt die Zahl der bisherigen Toten auf über 100 000. Ich habe ihn sofort vergattert, daß er diese Zahl vorerst – zumindest bis morgen – zurückhält. So habe ich sie exklusiv und kann drum herum eine tolle Rührstory bauen. Den Bildteppich dazu habe ich hier vor der Nase.
2. Juni
Heute morgen habe ich meine Frau angerufen. Meine Kurzberichte sind alle gelaufen. Silvie hat sich bei WW-TV erkundigt, dort scheint man ganz zufrieden mit meiner Arbeit zu sein. Jedoch hat Silvie von Wolf Maier gehört, das Bildmaterial sei manchmal schwach gewesen. Verdammt, sollen die doch einmal selbst hierher in den Dreck kommen und die Scheiße drehen. Aber trotzdem: Ich muß mich halt anstrengen, daß ich noch stärkeres Material aufreiße. WW-TV zahlt gut, ich möchte sie mir nicht vergrätzen.
Silvie kann einen manchmal richtig nerven. Hat sie mir doch noch am Telefon mitgeteilt, daß sie einen neuen Wagen haben will. Dabei ist der jetzige, das neueste Methanol-Modell, noch kein halbes Jahr alt. Ich habe erst einmal abgelehnt, so leicht verdiene ich mein Geld schließlich auch nicht. Aber dann hat sie am Telefon einen solchen Zirkus veranstaltet, daß ich schließlich doch zugestimmt habe. Aber ich habe mir ausbedungen, daß sie mit dem Kauf wartet, bis ich wieder zu Hause bin.
Sonst Routine. Der Monsun kündigt sich an. Ich wollte es zuerst nicht glauben, denn er kommt vor der Zeit, doch Jose Amadillo, der sich in dieser Gegend besser auskennt, hat mich auf den schweren nächtlichen Regen vor einigen Tagen hingewiesen.
Nun, das ergibt dann hoffentlich doch noch starke Bilder.
3. Juni
Ein harter Tag liegt vor mir. Ich muß die letzten Bilder drehen. WW-TV hat mich zurückgerufen. In Afrika gibt es irgendwo einen Volksaufstand, das sei im Augenblick wichtiger und zugkräftiger als Indien, schreibt Wolf Maier in dem Telegramm, das mir der Zimmerboy heute früh unter der Tür durchgeschoben hat. Maier hat nicht so unrecht; schließlich sterben jeden Tag irgendwo auf der Welt soundso viele Menschen an Hunger, aber Revolutionen gibt es gar nicht mehr so häufig.
Mir soll’s recht sein. Die eine Woche hier reicht mir. Ich muß aber unbedingt noch genügend Monsunbilder zusammenkriegen, denn seit heute nacht fällt das Wasser nur so
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