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Gemischte Gefühle

Gemischte Gefühle

Titel: Gemischte Gefühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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ins Nervenfaser-TV!“ Sie ließ sich auf den Boden gleiten und stützte einen Arm auf Krabbes Knie.
    Der Junge beugte sich zu ihr und flüsterte, daß er jemanden kenne, der nach diesen roten Pillen regelrecht süchtig sei.
    „Süchtig?“
    „Ja, erinnerungssüchtig!“
    Seit der Herstellung künstlicher Gedächtnismoleküle lag das industrielle Angebot jüngstzeitlich bei etwa siebenhundert unterschiedlichen Erinnerungswerten. Damit ließen sich eine Menge Elementarerfahrungen sparen. Der Vorteil dabei lag sowohl im Schnelltransfer als auch in der Verschleißminderung menschlichen Materials.
    „Fallen Erinnerungen an etwas, das man selbst nie erlebt hat, unter Fiktion oder Realität?“ Spicas Makrelenaugen schimmerten fragend.
    „Der Erfahrungswert soll maximal sein.“ Krabbe ergriff impulsiv ihre Hände. „Ich mache dir einen Vorschlag, Goldauge. Du überläßt mir deine kleinen roten Kapseln, und ich schenke dir dafür die neueste Tonlinse.“
    „Find’ ich wogig, stimme zu!“
    „Nach dem Abspielen kannst du sie als Anhänger auf deinem Sammelarmband tragen.“ Er lachte auf. „Vor fünfundzwanzig Jahren wäre das unmöglich gewesen. Da war so eine Tonlinse mindestens hundertmal so groß wie heute und hieß Schallplatte!“
    „Schallplatte, Platt-schalle …“ alberte Spica, während sie aus ihrem kupferfarbenen Overall eine kleine Pillendose angelte. Verheißungsvoll ließ sie den Inhalt vor Krabbes Gesicht rasseln.
    „Vorsicht, muß doch nicht jeder mitkriegen“, mahnte der Junge, schnappte sich das Tauschobjekt und ließ es in einer Innentasche seine Leichttaucheranzugs verschwinden. Im Gegenzug bot er auf der ausgestreckten Hand die lackschwarze Tonlinse dar, die Spica geschickt in die Muldenführung ihres armbandgroßen Schallabtasters drückte.
    „Aufgepaßt“, spielte Krabbe den Moderator, „es folgt das klassische Schallereignis – eine Originalaufnahme von 1978, Alltagssymphonie!“
    Der Verkehrslärm einer Großstadt brandete mit historischer Klangkulisse in die metallenen Bootswände …
    Aufheulende Motoren, mahlende Räder, donnernde Züge, startende Flugzeuge.
    „Da ist noch Leben drin!“ jubelte Spica. Andachtsvoll lauschte sie dem Kanon wummernder Dampframmen, der in regelmäßigen Intervallen von aufkreischenden Sägen zerschnitten wurde.
    „Eines der wenigen Beispiele von Positivvergangenheit“, kommentierte Krabbe.
    Beim verzweifelten Gebimmel einer Fahrradklingel mußte das Mädchen hell auflachen. Kirchenglocken erschreckten sie. Wütendes Hundegebell versetzte sie in Entzücken.
    „Das ist Musik, Vitalmusik, Umweltreizmusik!“
    „Unverfälschte Sphärenakustik!“
    Das Duell zwischen mahlenden Panzerketten, Düsenbohrern, bollernden Hubschrauberrotoren und Manöverschießübungen blieb ohne sicheren Sieger. In einem aufbrausenden Crescendo mischten sich alle Frequenzen zu einem Mahlstrom von Lärm …
    Krabbe griff nach Spicas Armbandschallgeber und drückte den Stop-Knopf.
    „He, warum schaltest du’s ab?“
    „Es irritiert mich.“
    „Du meinst, es macht dich irre?“
    „Nein, es intensiviert etwas in mir …“ Krabbe sah an Spica vorbei.
    „Was? Sag schon? Sinn-Sucht?“
    „Nein, Sehnsucht, Sehnsucht nach oben.“
    Spica erschrak. „Klemmen deine Synapsen? Du riskierst damit eine Negativmarkierung in deinem Life-Paß.“
    „Und du?“ gab der Junge zurück.
    „Was ich? “
    „Du hast dir einen Hund gewünscht, einen Hund!“ Krabbe legte seine Hände auf die schmalen Mädchenschultern.
    Spica staunte: „Aber woher weißt du denn das? Du bist doch erst später an Bord gekommen.“
    „Dein lieber Enzympartner hat es als Blitzwarnmeldung an alle Boote gegeben.“
    „Er hat nur verantwortungswürdig gehandelt.“
    „Hab’ keine Angst, Goldauge. Wer wagt, gewinnt!“
    „Fehlinformation! Wer wagt, ist verloren.“
    „Du tickst wohl nicht richtig!“
    „Laß uns umschalten. Sag mal, Krabbe, findest du mich eigentlich hübsch?“
    Krabbe ergriff Spicas linke Hand und spreizte zärtlich ihre Finger. „Kein Mädchen im Monument hat so zarte, rosige Schwimmhäute wie du.“
    Spica ließ sie erschlaffen und spannte sie von neuem. Sie waren zäh und elastisch. Der Amphibia-Effekt galt als Gütesiegel ihrer Generation.
    „Und du, Krabbe, hast die ausdrucksvollsten Kugelaugen von allen Jungen hier unten.“ Leise fügte sie hinzu: „Die von oben kennen wir ja nicht mehr.“
    Krabbe zog Spica an sich: „Siehst du, jetzt redest auch du wieder von

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