Gemischte Gefühle
Ledergeschäftes, in dem die Überreste sü d amerikanischer Kaimane ihr Rentnerdasein als Aktenköffe r chen und Theatertäschchen fristeten. Das feine elektrische Wispern eines Bioclimate-Maker, der die Kundschaft wohl zu einem konsumfreudigeren Verhalten überreden sollte, erreichte Robbys Körperelektrizitätsfeld und dämpfte die Entrüstung über den ordinären Umgangston des Bleichen. Er zuckte die Achseln und schob sich aus dem Eingang, stieg über einen umgeworfenen Abfallbehälter und setzte seinen Bummel fort. Die Fußgängerzone füllte sich allmä h lich wieder mit Menschen, und jetzt erschienen zwischen den gelb kränkelnden Gewächsen in den hier und dort st e henden Betonkübeln auch einige Polizisten und blickten sich unentschlossen um und reagierten auf die spöttischen B e merkungen der Passanten mit jener beruflichen Nonch a lance, die Robby schon immer an ihnen bewundert hatte. Da von den tobenden Fans des städtischen Fußballclubs (der im Jahr einen Zuschuß von einer knappen Million Mark aus Steuergeldern erhielt) niemand mehr zu sehen war, zoge n d ie Beamten unverrichteterdinge wieder ab, allerdings nicht ohne zuvor einen Werbestand der Radikaldemokratischen Partei einer hochnotpeinlichen amtlichen Kontrolle unterz o gen zu haben.
Robby schlenderte weiter und bemühte sich, die Erinn e rung an sein unerquickliches Gespräch mit Huspensky zu verdrängen. Teufel auch, der Sack hatte ihm das Messer auf die Brust gesetzt und ihm gedroht, die Unterstützung zu sperren oder ihn zum Sozialen Arbeitsdienst in Unterfö h renheim in der finstersten Ecke des Bayerischen Waldes zu verbannen, wenn er nicht umgehend das Stellenangebot der Deutschchemie AG annehmen würde; egal, ob Robby nun als Werkzeugschlosser ausgebildet war oder nicht. Robby spuckte verächtlich aus und blieb vor der Plattenkiste st e hen, musterte geistesabwesend die LP-Cover, Musikkasse t ten und Videobänder im Schaufenster. Huspensky hatte leicht reden. Es war schon ein Unterschied, ob man Tag für Tag in einem klimatisierten Büro des öffentlichen Dienstes Akten wälzte und Arbeitslose schikanierte oder ob man in einer stinkenden Lagerhalle der Deutschchemie hochbrisa n te Fässer mit Trichlorphenol, Tetrachloridbenzodioxin und Hexachlorcyclohexan stapelte.
Der Hi-Fi-Lautsprecher über der Tür der Plattenkiste brüllte die neues Hits. „ Wann machst du deine Alte kalt? “ lallte Rocky St. James zu den süßen Klängen eines digital aufgenommenen Streicherquartetts. Robby schüttelte sich. Und im übrigen spielte es auch keine Rolle, ob er nun den HCH-Job wollte oder nicht – der geschniegelte Personalchef der Deutschchemie, Hubert Graf Kalle von Bohle und A n halter, hatte ihm schon einmal erklärt, daß er Leute wie Robby für ein Sicherheitsrisiko hielt, aber interessierte das Huspensky?
„ Don ’ t forget your machine-gun “ , rieten African Bullett , eine südafrikanische farbige Band ehemaliger Untergrun d kämpfer, die nach dem Fall des Apartheid-Regimes in Pret o ria über den Kontinent tingelten und Gelder für den Wiede r aufbau lockermachten. Nein, was Huspensky wollte, das war klar wie ein Sonnenaufgang in der Karibik. Er wollte Robby den öffentlichen Geldhahn zudrehen, und dazu war ihm j e des Mittel recht, sogar die Deutschchemie.
„Wahnsinn“, murmelte eine Stimme, die Robby seltsam vertraut vorkam, so rostig klang sie, und kaum hob er den Kopf, da sah er auch schon Don the Dope, den Superstar der Funk-Punk-Rock-Formation Pete Paranoia & his Nightmares, die ihre Gigs in einem verkommenen Lage r haus auf dem höchsten Punkt des Holunderberges durc h zogen und seit einem Monat die städtischen Alternati v charts mit It’s fine be mad in the White House anführten. Don the Dope hieß mit bürgerlichem Namen Detlef Da m roß, und Robby kannte ihn seit seiner Schulzeit, kannte ihn sogar gut, alldieweil sie gemeinsam einen tattrigen G e schichtslehrer d a von überzeugt hatten, daß das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 nach ihrer gründlichen h i storischen Analyse mindestens irgendwo im ostbengal i schen Sumpfland anz u siedeln war und jede Abweichung von dieser Maximalford e rung Verrat! Verrat! bedeutete. „ Wahnsinn “ , wiederholte Don the Dope und strich sich eine rosa Haarlocke aus den Augen. „ Es ist unglaublich. Unerhört. Das bedeutet Revolution. Mindestens. Das we r den wir nicht zulassen. Nein! “
„ I wanna fuck the pope “ , lispelten die Nightgirls aus dem
Weitere Kostenlose Bücher