Gemischte Gefühle
habe –, daß wir nach Abbruch und Neubau der Stadt mehr und wesen t lich bessere Wohneinheiten zur Verfügung stellen können, als diese Ruinen sie jetzt bieten.
PFEIFE: Wie? Äh, ich … äh …
NOWOSSNY: Es besteht überhaupt kein Grund zur Aufr e gung. Es ist eine völlig legale Sache, die schon tausendmal irgendwo stattgefunden hat. Wir wollen doch nicht so tun, als sei das etwas Verbotenes und Unehrenhaftes. Im Gege n teil, wir erfüllen der Stadt einen Wunsch – den Wunsch nach ausreichendem Wohnraum. Und Sie, mein lieber Paul, we r den dafür sorgen.
PFEIFE: Wie?
NOWOSSNY: Es ist ein Kreuz. Wir haben einen Haufen Geld in diese Ruinen investiert, aber irgendwann ist Schluß, und wann soll sich das überhaupt rentieren? Wer hat schon Interesse an einer Wohnung mit Klo im Keller und Dusche unterm Dachgiebel? Wer bezahlt da heutzutage noch eine kostendeckende Miete?
PFEIFE: Äh …
NOWOSSNY: Es wird sich nicht aufhalten lassen. Der ga n ze Immobilienmarkt geht zum Teufel. Und Sie und Ihre Fraktion reden doch schon seit Jahr und Tag davon, den H o lunderberg zu sanieren, diesen Schandfleck, nicht wahr?
PFEIFE: Wie?
NOWOSSNY: Sie schaffen das schon, Paul. Jetzt genug davon. Wir wollen uns diesen heiteren Abend nicht mit g e schäftlichen Dingen verderben. Reden wir doch lieber über Ihren Bauernhof in Unterammergau. Sagten Sie nicht, Paul, daß das Dach …
PFEIFE: Also diese Schindeln sind sehr wasserdurchlä s sig und windschief und von einer solch ekligen Farbe, und die Veranda ist immer noch in einem solchen Zustand, daß da dringend e t was getan werden müßte, und ich bin mir s i cher, das ist genauso dringend wie diese Sache mit dem Holunde r berg …
Mitschnitt eines Gespräches zwischen Karl. C. Nowossny, Direktor der Wobau, und Paul Martin Pfeife, Oberstadtd i rektor von Ruhrstadt und Vorsitzender des Bauausschusses
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KEIN GELDSACK AUF DEM HOLUNDERBERG Flu g blattext
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… trug Adelheid Rumberger trotz des warmen Frühlingst a ges einen grünkarierten Wintermantel und hatte sich mit e i nem abgesägten Besenstiel vor der Tür des Hauses Holu n derberg 34 aufgebaut. Sie musterte Robby und Don mit e i nem kritischen Blick, bevor sie schließlich nickte und ein bellendes „ Könnt passieren “ hervorstieß. Ihre Augen lugten wachsam hinter den dicken Brillengläsern auf die Straße, und sie würde mit ihrem Leben und dem abgesägten Bese n stiel das Haus gegen jeden ungebetenen Besucher verteid i gen.
„ Ich hab ’ doch gesagt “ , erklärte Don und betrat das mu f fige Treppenhaus, „ alles eine Sache der Organisation, eh? “ Er ächzt e u nter der Last des schweren Kartons, den er vor der Brust hielt und damit die Treppen hochwankte. „ Ve r dammt, wer hätte gedacht, daß Flugblätter so schwer sein können? “ Robby sagte nichts, sparte seinen Atem für den Treppenaufstieg und seufzte erleichtert, als sie endlich den zweiten Stock erreichten und bereits von Angela und den Freaks der Sonnen-Kommune erwartet wurden. Durch die geöffnete Wohnungstür drang das Klingeln des Telefons. Dann eine gedämpfte Stimme: „ Der vierundachtzigste Sol i daritätsanruf! “
„ Wo habt ihr so lange gesteckt? “ fragte Angela mürrisch. Robby hob den Kopf, halb noch auf der Treppe stehend, so daß er zu ihr hinaufblicken mußte, und litt vorübergehend unter einer absurden perspektivischen Verzerrung. Angela wirkte klein, doch dies lag nicht allein an den erstaunlichen Sichtverhältnissen, die die dritte Acapulco-Gold in ihm au s gelöst hatte, denn selbst unter anderen Umständen war sie zierlich, ohne jedoch schmal zu sein, und ansonsten war sie ganz und gar nicht hellhäutig und blaß wie die meisten Fra u en, sondern schwarzhaarig und schwarzäugig und von einem dunklen Teint, fast von der Farbe, wie ihn ein schwachg e häufter Löffel Kakaopulver in einer Tasse Milch erzeugte. Robby war überrascht, wie die Dinge von der letzten Tre p penstufe aus verändert wirkten und ihren richtigen Stellenwert erhielten. Alles in allem war Angela ein verflixt hübsches Mädchen, und es war wirklich tragisch, daß ihre Gedanken gewöhnlich um die Göttlichkeit der Sonne kre i sten.
„ Kommt rein “ , erklärte das Mädchen und griff nach dem zuoberst liegenden Flugblatt, auf dem in großen Lettern HÄNDE WEG VOM HOLUNDERBERG stand. Sie rümp f te die Nase und ging voraus in die menschenüberlaufene Wohnung, wo Schreibmaschinen tickten und
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