Gemischte Gefühle
„ Bravo! Ein wahres Wort zur rechten Zeit! “ Und: „ Ich denk ’ , das is ’ n Rockfestival? “
Robby stand eingekeilt in der Menge, neben ihm Angela, und mit einem feinen lästerlichen Lächeln nahm er den Druck ihres warmen Körpers zur Kenntnis. Irgendwo vor ihm schwenkte Don the Dope seine Gitarre, ein wenig sei t lich versetzt klatschten Terrier Protkop und Anhang enth u siastisch Beifall, lautstark unterstützt von der Witwe Ru m berger und jener jungen blonden Maid, deren Badeshow Robby des öfteren durch das gardinenlose Badezimmerfe n ster des gegenüberliegenden Gebäudes hatte beobachten können.
„ Man wird versuchen “ , setzte die Landesjugendsekretärin ihre Rede fort, „ uns zu kriminalisieren. Man wird versuchen, Dreck über uns auszuschütten, um die öffentliche Meinung – pardon, die veröffentlichte Meinung gegen uns aufzubri n gen. Aber dafür ist es bereits zu spät. Wir plädieren nicht dafür, den Holunderberg in seiner jetzigen Form zu bela s sen. Wir plädieren auch nicht für einen allumfassenden Kahlschlag, nur um die Grundstücke irgendwelchen G e schäftemachern in den Rachen zu werfen. Unsere Forderung ist klar: Sanierung statt Planierung! Und gemeinsam werden wir es schaffen. Nur gemeinsam sind wir stark; stark genug, um Nowossny und dem Stadtrat zu widerstehen. Stark g e nug, um unsere Rechte durchzusetzen. Wir geben nicht nach. “
Wieder brandete Beifall auf, flatterte wie ein Vogel über die zahllosen Köpfe, und es waren Greise und Kinder, Mä n ner und Frauen, Jugendliche und Junggebliebene, die hier standen und zeigten, daß sie sich nicht herumstoßen ließen wie ausrangierte Möbelstücke. Mehr als die Hälfte der H o lunderberg-Bewohner und viele Bürger aus der restlichen Ruhrstadt nahmen an dieser Protestversammlung teil, und befriedigt erkannte Robby, wie die grünlackierten Man n schaftswagen der Bereitschaftspolizei unter dem Druck des Beifalls zögernd in die Seitenstraßen zurückwichen. Robby hatte fast Mitleid mit den Polizisten, von denen manche vermutlich mit den Demonstranten sympathisierten, aber die Anordnungen des Polizeipräsidenten und Stadtrates befo l gen mußten. Es war klar, daß Pfeife und die Nowossny-Gang nur auf einen Zwischenfall warteten, um die Bürger gegen Baumafia zu kriminalisieren und die Demonstration mit Gewalt zu ze r schlagen.
Unruhe keimte plötzlich in Robby auf. Forschend sah er sich um, sah in verschwitzte Gesichter, gerötet von der Wärme des Maitages, sah Augen, die blitzten und funkelten und nicht mehr stumpf und kraftlos waren wie in der Ve r gangenheit, und es war wirklich erstaunlich, was Nowossny binnen kurzer Zeit zustande gebracht hatte.
Eine Stimme gellte auf. „ Geh ’ n wir runter in die Stadt und zeigen wir denen, was ’ ne Harke ist! “
Die Stimme war wie ein Stich, wie der Biß einer Flamme, und der Argwohn schlug über Robby wie eine dunkle Welle zusammen. Er tauschte mit Angela einen knappen Blick, und in ihren zärtlichen, spitzbübischen Mauseaugen sah er, daß sie ebenfalls verstanden hatte und sein plötzliches kaltes Mißtrauen teilte. In der Menge schüttelte jemand drohend eine Faust. „Wir holen Pfeife aus dem Rathaus!“ brüllte die gleiche Stimme und ein Arm schleuderte einen Flachmann in die Richtung der Polizisten, während die Landesjugen d sekretärin des DGB das eilends zusammengezimmerte Pod i um frei machte und Otto Adalbert Mühleisen, Tabakware n ladenbesitzer auf dem Holunderberg und erbi t terter Feind Nowossnys und seiner Sippschaft, Solidarität s adressen zu verlesen begann.
„ Komm “ , sagte Robby kurz zu Angela und begann sich durch die Menge zu schieben, hin zu dem Großmaul, das unverdrossen weiterhetzte und allmählich zustimmendes Gemurmel erntete. Aus einer Seitenstraße schob sich lan g sam und leise brummend und wie abgesprochen der erste gepanzerte Wagen. „ Man muß Nowossny und Pfeife au f hängen “ , machte sich der Schreier wieder bemerkbar.
Eine Hand berührte Robbys Schulter. Er sah sich um, l ä chelte schwach. Es war Hubert Hetschneider, gefolgt von einigen grün geschminkten Mitgliedern der Sonnen-Kommune. „ Da macht einer Stunk “ , raunte Hubert ihm zu. Er war klein und blaß, und seine Haare begannen an den Schläfen bereits zu ergrauen. „ Es ist widerlich, wer sich heutzutage alles einmischt. Die Leute werden schon unr u hig. “ Gewöhnlich verbrachte Hubert Hetschneider seine Zeit damit, aus leeren Eierkartons surrealistische Aktion
Weitere Kostenlose Bücher