Gemma
Gefühl wiederholte sich nicht.
Langsam ließ Gemma sich wieder zurücksinken. Hatte sie es sich nur eingebildet,
oder hatte sie tatsächlich das erste Lebenszeichen ihres ungeborenen Kindes
erhalten?
Anfang April
wünschte sich Gemma den Regen zurück. Die Tage waren schwül und heiß, und ihr
rann der Schweiß in Strömen den Rücken hinab, wenn sie auch nur daran dachte
sich zu bewegen. Auch die Nächte brachten kaum Linderung. Wenn die Sonne
unterging, fielen Schwärme von Moskitos über die Bewohner von Belle Elysée her,
sodass Gemma sich manchmal fragte, ob sie überhaupt noch Blut in den Adern
hatte. Ein riesiges Moskitonetz überspannte deshalb schützend ihr Bett, aber
Gemma hatte das Gefühl, dass es der schwachen Nachtbrise, die hin und wieder
durch die geöffneten Balkontüren in ihr Schlafzimmer wehte, nicht gelang, den
weißen Schleier zu durchdringen. Wenn überhaupt schlief sie nur unruhig und war
danach tagsüber müde und gereizt.
Noch immer verbrachte sie viel Zeit mit Alice Harper, deren Bauch
beängstigende Ausmaße angenommen hatte, auch wenn ihr Alice lachend
versicherte, dass er das bei jedem ihrer Kinder getan hatte.
Versonnen strich Gemma über ihr eigenes, inzwischen sichtlich
gerundetes Bäuchlein. Das Flattern in ihrem Innern hatte sich zu einem leichten
Boxen entwickelt, das sich besonders nachts, wenn Gemma zur Ruhe kam,
bemerkbar machte. Im Augenblick war das Baby jedoch ruhig, und Gemma ließ sich
entspannt gegen die gepolsterte Rückenlehne der Bank in Alice' gemütlicher
Küche sinken.
Alice stemmte sich die Hände in den Rücken
und watschelte langsam durch den großen Raum. Hin und wieder musste sie
einfach einige Schritte gehen, um ihre geschwollenen Beine zu entlasten.
»Tut das denn nicht weh?«, wollte Gemma wissen.
Irgendwie konnte sie sich nicht vorstellen, dass eine derartige Wölbung
ganz ohne Schmerzen möglich war.
Alice schüttelte den Kopf. »Der Rücken tut mir
weh, aber das ist normal. Es gibt einfach nichts Schöneres, als ein warmes
Bad, um den Rücken zu entspannen.« Sie seufzte. »Manchmal wünschte ich mir, ich
könnte einfach in der Wanne liegen bleiben, bis das Kind geboren ist.«
»Man kann während der Schwangerschaft baden?«, fragte Gemma
skeptisch. Alice lachte hell auf.
»Aber natürlich. Zwar erzählen viele, dass man es nicht tun
sollte, aber bislang hat mir keiner auch nur einen vernünftigen Grund genannt, warum.« Sie grinste Gemma an
und streckte die Arme zu den Seiten aus. »Und ich bin der lebende Beweis
dafür, dass Baden einer Schwangeren nicht schadet.« Sie setzte sich wieder
neben Gemma auf die Bank. Ihr Bauch verformte sich, als das Kind seine Position
änderte, und Gemma lachte. Sie hatte es schon oft beobachtet, und hin und
wieder schimpfte Alice lachend, wenn das Kind sich einfach nicht entscheiden
konnte, wie es liegen wollte.
»Besonders schön ist es nachts. Manchmal frage ich mich, wann die
Kleinen eigentlich schlafen. Immer wenn ich gerade eine bequeme Stellung gefunden habe, in der mein Rücken mich nicht
umbringt und ich anfange einzuschlafen, scheint dieser kleine Rabauke wach zu
werden.«
»Meinst du wirklich, dass ein Kind im Bauch der Mutter schläft
oder wach ist?«, fragte Gemma stirnrunzelnd.
»Na ja«, meinte Alice, »was soll es denn sonst tun?« Sie presste
ihre Hände in ihren schmerzenden Rücken. »Wenn es nur erst vorbei wäre. Langsam könnte es wirklich kommen.«
Sie biss die Zähne zusammen, als ihre Finger einen besonders empfindlichen
Nervenstrang trafen. Ein dumpfer Schmerz zuckte durch ihren Leib und Alice' Lippen verzogen sich zu
einem Lächeln. »Wenn mich nicht alles täuscht, kann es aber nicht mehr lange
dauern.«
»Gemma«, meinte sie nach einer Weile, »würdest du bitte Chantal
sagen, sie solle alles vorbereiten?«
Gemma
ließ vor Schreck beinahe die Nadel fallen. »Du ... du meinst, es geht los? Bist
du dir sicher?« Aufgeregt hatte Gemma Alice bei den Schultern ergriffen. Alice
grinste.
»So sicher wie das Amen in der Kirche. Ruf Chantal, damit sie
jemanden losschickt, der Doktor Halbrook informiert.«
Gemma sprang auf und hastete hinaus.
Sieben Stunden
später hielt Alice ihren protestierend schreienden Sohn in den Armen. Feine
rote Locken kringelten sich auf seinem Kopf, und er schlug wütend mit den
kurzen, dicken Ärmchen um sich. Gerührt beobachtete Gemma, wie liebevoll Alice
dem Kleinen über das Gesichtchen strich. Die gespitzten kleinen Lippen
schnappten schmatzend nach
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