Gemma
niederbrüllt.
Und ich habe noch viel mehr Angst, wenn seine Stimme ganz leise
und sanft wird, weil er dann erst so richtig gefährlich wird.«
»Hast du Angst, dass er dich schlagen könnte?«, fragte Alice
besorgt.
Erstaunt riss Gemma die Augen auf. »Bryce?
Niemals!«, rief sie überzeugt. »Bryce würde mich niemals schlagen.« Dann
grinste sie Alice an. »Aber er hat es mir oft genug angedroht.«
Alice grinste zurück. »Weißt du, ihr zwei, du und Bryce, seid wie
füreinander geschaffen. Jetzt müssen wir nur noch dafür sorgen, dass Bryce es
auch merkt.«
Vier Wochen waren seit Bryce' Abreise vergangen. Gemma war dazu
übergegangen, ihr Haar morgens nicht aufzustecken, sondern zu bürsten, bis es
glänzten, und dann mit einer Samtschleife, passend zum Kleid, im Nacken
zusammenzubinden.
Die Tage waren wärmer geworden, und die
Magnolienbäume im Garten verströmten einen beinahe atemberaubenden Duft.
An diesem Morgen, als Gemma auf den Balkon
hinaustrat, streifte eine kühle Brise ihre Wangen, und Gemma sog die süß
duftende Luft tief in ihre Lungen. Es war für sie ungewohnt, bereits so früh
im Jahr tagsüber derart hohe Temperaturen zu haben, und so genoss sie die
kühle morgendliche Brise, die einen Hauch von englischem Frühling in sich trug.
»Miss Gemma?«
Gemma drehte sich um und lächelte Mammy an, die hinter ihr in der
Tür erschienen war.
»Ich komme, Mammy. Glaubst du, dass es Regen
geben wird?«, fragte sie und wandte ihren Blick wieder dem sich schnell
verdunkelnden Himmel zu. Sie hörte Donnergrollen in der Ferne, was
möglicherweise einen Gewittersturm ankündigte.
Mammy nickte bedächtig. »Oh, es wird ganz sicher regnen, Miss
Gemma. Es wird ganz gewaltig regnen. Der Wasserstand des großen Flusses wird
steigen. Vielleicht wird sogar die Straße nach New Orleans überschwemmt.«
»Sind wir in Gefahr?«, wollte Gemma wissen.
Mammy schüttelte langsam den Kopf, als sie darüber nachdachte.
»Nein«, sagte sie schließlich. »Dieser Regen wird stark sein, aber auch dieses
Haus ist stark. Nichts wird passieren. Ich bin sicher.«
Gemma fühlte sich seltsam beruhigt von Mammys Worten. Sie wusste
zwar nicht warum, aber sie vertraute Mammys Wettervorhersage.
»Na
komm, Mammy, lass uns reingehen.« Sie hakte ihren Arm bei Mammy unter und
führte die alte Dame ins Zimmer. Empört versuchte Mammy ihren Arm freizubekommen,
aber schließlich folgte sie Gemma leise kichernd hinein.
Mammys
Wettervorhersage erwies sich als richtig. Fünf Tage lang goss es in Strömen.
Der Himmel hing voll schwerer dunkelgrauer Wolken, die ihre nasse Last auf das
Land vergossen.
Überall auf Belle Elysée hatten sich flache kleine Seen gebildet,
und das gesamte Gelände sah aus wie ein einziger schwammiger Bayou.
Der Regen hielt Gemma im Haus gefangen, denn
die aufgeweichten Straßen machten es ihr unmöglich, Alice oder irgendjemand
anderen zu besuchen. Die Temperaturen waren beträchtlich gesunken, und Gemma
fröstelte in der feuchtkalten Luft, als sie in einem der geflochtenen
Schaukelstühle auf der Veranda saß und sich hin und wieder mit einem Fuß
abstieß. Im Innern des riesigen Hauses hatte sie geglaubt zu ersticken, deshalb
war sie herausgekommen, um die kühle süße Luft zu atmen.
Wie Mammy vorhergesagt hatte, war Gemmas Appetit zurückgekehrt,
und auch die Übelkeit am Morgen hatte nachgelassen. Allerdings ermüdete sie
noch immer schneller, als ihr lieb war, und legte sich deshalb oft am
Nachmittag hin, auch wenn sie nichts Anstrengenderes getan hatte, als zu lesen.
Im Moment aber tat sie nichts, außer dem Lied des Regens zu
lauschen, der ununterbrochen und stetig auf das Laub der Eichen und das Dach von Belle Elysée trommelte. Gemma hatte den Kopf gegen das hohe Rückenteil des Schaukelstuhls
gelehnt, und ihre Hände ruhten entspannt auf ihrem Bauch.
Auch wenn die Schwangerschaft noch immer nicht offensichtlich
war, so konnte sie doch bereits die sanfte Wölbung ertasten, unter der ihr Kind
heranwuchs.
Ihr Kind.
Gemmas Herz schlug schneller bei dem Gedanken, dass ein Teil von
Bryce in ihrem Körper wuchs. Wärme erfüllte sie, als sie an das winzige Leben dachte, dass so klein und unschuldig rein gar nichts von dem ahnte, das die Welt der Erwachsenen
beschäftigte. Zärtlich strich Gemma über ihr Bäuchlein – und zuckte erschreckt zusammen, als sie ein sanftes
Vibrieren, wie das Schlagen eines Schmetterlingsflügels, in ihrem Innern
verspürte. Sie lauschte in sich hinein, aber das
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