Gemma
Anrichte. Bryce runzelte die Stirn.
Normalerweise erschien Elias, wenn er ein Pferd oder eine Kutsche
in der Auffahrt hörte, und es war noch nicht so spät, dass schon jedermann zu
Bett gegangen war. Aber niemand hatte ihn erwartet und die Tür geöffnet. Das
ganze Haus schien erfüllt mit angespanntem Schweigen.
Langsam durchschritt Bryce die Halle, während er die Handschuhe
auszog und seinen Umhang von den Schultern streifte. Wo waren nur alle?
Er verspürte leichten Ärger in sich aufsteigen. Es war das erste
Mal, dass er, ohne Tabby als Boten vorauszuschicken, direkt vom Schiff nach
Hause geeilt war, aber dennoch hatte er erwartet, dass er zumindest, wie ein
unangemeldeter Gast auch, angemessen empfangen werden würde.
Wütend schlug er seine Reithandschuhe in seine Handfläche, als er
die ersten Stufen der breiten Treppe hinaufstieg. Irgendwo im Haus klappte
eine Tür und er vermeinte leises Weinen zu hören, konnte sich aber auch
täuschen.
Verdammt, dachte
Bryce. Wenn nicht draußen an der Tür der Trauerflor gefehlt hätte, könnte man
meinen, es sei jemand gestorben. Wozu war er überhaupt von den Docks nach
Hause gejagt, als wäre der Teufel hinter ihm her, wenn ihn niemand begrüßte?
Szenen von Gemma, die sich ihm jubelnd in die Arme warf, waren ihm
im Kopf herumgegangen, als er den Mietgaul zu noch größerer Eile angetrieben
hatte. Bereits seit Wochen hatte er dieses brennende Verlangen verspürt, seine
Frau endlich wieder in die Arme zu schließen. Das Gefühl war während der
letzten Stunden, in denen sie qualvoll langsam den Mississippi hinaufgesegelt
waren, so stark geworden, dass er geglaubt hatte, den Verstand zu verlieren,
wenn er nicht so schnell wie möglich Belle Elysée erreichte.
Sowohl Jessup als auch Tabby hatten während der ganzen langen
Reise keine Gelegenheit ausgelassen, um ihm klar zu machen, was für ein Idiot er doch war. Sogar die Männer seiner
Mannschaft, die zum größten Teil nach der letzten gemeinsamen Reise wieder
angeheuert hatten, hatten ihn deutlich spüren
lassen, was sie davon hielten, wie er Gemma behandelte. Selbst die
Männer, die neu waren und die daher nicht wussten, worum es ging, hatten sich,
nachdem sie in die Sache eingeweiht worden
waren, auf Gemmas Seite geschlagen. Anscheinend wurde sie von den Männern genauso
respektiert wie er, wobei er sich des Gefühls nicht erwehren konnte, dass er
selbst einen großen Teil dieses Respekts, den sie ihm persönlich als Menschen
entgegengebracht hatten, eingebüßt hatte.
Als wäre all das nicht schon schlimm genug gewesen, so hatte
Jessup die ganze Fahrt über von fast nichts anderem gesprochen als von der bevorstehenden
Geburt seines Sohnes und wie sehr er sich darauf freute, endlich wieder nach
Hause zu kommen.
Bryce
grinste.
Jessups Kind musste inzwischen auf der Welt sein, und Bryce selbst
war gespannt, wie Gemma wohl aussah, jetzt wo sich ihr Leib unter der Last
eines Kindes bereits gerundet hatte. Noch immer nagte ein leiser Zweifel an
ihm, ob es wohl sein Kind war, das sie unter dem Herzen trug, aber er war bereit
– um Gemmas willen –, es als das seine zu akzeptieren.
Bryce hatte den oberen Treppenabsatz
erreicht, als ein gellender Schrei die bedrückende Stille zerriss. Für einen
Moment stand er wie erstarrt, unfähig sich zu rühren, bevor er den Gang
hinunter stürmte in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Eine Tür
öffnete sich am Ende des Korridors, und Mammy trat heraus. Als sie Bryce gewahr
wurde, presste sie die Hände auf die Lippen und schickte ein Stoßgebet zum
Himmel. Ihre runden schwarzen Wangen glänzten vor Tränen, und Bryce konnte die
große Sorge in ihrem Gesicht lesen.
»Mammy«, rief er und umfasste ihre Oberarme. »Mammy, um Gottes
willen, was ist denn passiert?«
»Oh, Master Bryce«, schluchzte sie, »dem Himmel sei Dank, dass Ihr
da seid. Meine Gebete sind erhört worden. Oh Jessus, Maria und Josef ...«
»Mammy, verdammt, was ist passiert? Wo ist
Gemma?«
Der plötzliche Ausdruck in Mammys Augen ließ ihn verstummen.
Ungläubig den Kopf schüttelnd ließ er ihre Arme los und trat einen Schritt
zurück.
»Nein«, flüsterte er mit blutleeren Lippen. »Nein, bitte, Mammy,
sag mir, dass das nicht wahr ist.«
»Oh, Master Bryce, Ihr müsst jetzt stark
sein«, schluchzte Mammy. Bryce wollte sich an ihr vorbeidrängen, aber Mammy
hielt ihn am Arm fest. »Master Bryce, bitte. Wenn Ihr dort hineingeht, lasst
Miss Gemma nicht merken, wie es um sie steht
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