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Gemordet wird immer

Gemordet wird immer

Titel: Gemordet wird immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Korber
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konnten die Frau hier unmöglich alleine lassen.
    Fünf Uhr fünfzehn. Er seufzte. »Ein schönes Foto«, bemerkte er, nachdem er fertig damit war, die Schnörkel auf der Tapete zu zählen. »Ist das auf Ihrer Hochzeit gemacht worden?«
    »Da hat er seinen guten Anzug an, der passt ihm immer noch.« Frau Haberkorn lebte ein wenig auf. Wenig später war Viktor mit ihr übereingekommen, den Toten in ebendiesem Anzug zu begraben. Seinen Trauring wollte sie behalten, ja, und ein konfessionsloser Redner sollte am Grab sprechen.
    »Ein Gedicht soll der aufsagen, eins von Rilke, das hat dem Egon immer besonders gut gefallen, sogar bei der Hochzeit hat er das zitiert. Ich komme jetzt nicht drauf«, sagte Frau Haberkorn. »Es ist irgendwas mit Blättern und Briefen.«
    Onkel Wolfgang runzelte die Stirn, machte sich aber Notizen. »Das hat Zeit«, murmelte er, »das finden wir schon.«
    Viktor räusperte sich. »Herr, es ist Zeit«, begann er leise. »Der Sommer war sehr groß.«
    Frau Haberkorn hob den Kopf. »Das ist es«, sagte sie, »genau das ist es.« Sie wischte sich mit dem Taschentuch über die Augen, während Viktor das Gedicht ruhig zu Ende sprach.
    »Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
    und auf den Fluren lass die Winde los.
    Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein,
    gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
    dränge sie zur Vollendung hin und jage
    die letzte Süße in den schweren Wein.
    Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
    Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
    wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
    und wird in den Alleen hin und her
    unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.«
    Gerührt schaute sie ihn an. »Er sagte immer, für ihn wäre die Zeit des einsamen Wanderns durch die Alleen nun vorbei, und vor ihm läge der goldene Herbst. Wir haben sehr spät geheiratet, müssen Sie wissen.«
    Die drei schwiegen eine Weile, während Rilkes Worte noch im Raum zu schweben schienen. Die Löffel klirrten in den Tassen. Der Kaffee wurde kalt.
    Die Morgendämmerung brach gerade an, als Wolfgang und Viktor Anders aus dem Hausflur traten. Im Efeu, der die Mauer des Hinterhofs überwucherte, regte sich verschlafen eine Amsel, beschloss aber nach wenigen Tönen, dass es noch zu früh sei. Auch die beiden Männer sprachen nicht.
    Viktor wusste nicht, ob die Kälte in ihm von der Müdigkeit oder von der Berührung mit Herrn Haberkorns Körper stammte. Der lag jetzt in einem Sarg, ganz in Schwarz, zwischen billigem Satin und teurem Holz. Die Räder der Transportkarre rumpelten mühsam über das Hofpflaster. Mühelos dagegen ließ sich der Auszug hinten im Leichenwagen bedienen, auf den sie den Sarg hinüberzogen, um ihn anschließend in Position zu bringen. Der Onkel griff nach dem Metallbügel, der alles fixierte, setzte ihn ein und schraubte ihn fest. Dann öffnete er eine teppichbezogene Klappe und ließ dort die Packungen mit Zellstoff und Latexhandschuhen verschwinden. Alles hatte seinen Platz, alles war sauber wie am ersten Tag, und als er fertig war, sah das Wageninnere wie eine kleine Kapelle aus. Im Gegensatz zum Führerhaus, wo er aus dem Handschuhfach eine angebrochene Flasche Cola und eine Dose Bonbons zog. Viktor lehnte ab, als er ihm welche anbot.
    »Ich mache einen kleinen Spaziergang«, sagte er. »Muss über einiges nachdenken.«
    »Viktor?«, rief der Onkel ihm nach. »Woher kanntest du das Gedicht?«
    Viktor ging weiter, ohne sich umzuwenden. »Hannah hat es sehr gemocht«, sagte er schließlich, aber so leise, dass nur er selbst es hören konnte.

17
    »Na, ich muss aber Eindruck hinterlassen haben«, sagte Viktor, als er die kleine Gestalt neben sich bemerkte.
    Miriam Wechsler ging nicht darauf ein. »Als ich bei Ihnen angerufen habe, sagte Ihre Tante mir, dass ich Sie vermutlich hier finden würde.«
    »Kluge Tante Hedwig.« Viktor nahm die Hände nicht aus den Jackentaschen.
    »Ihre Schwester?«, fragte Miriam mit Blick auf den Grabstein.
    »Das hat meine Tante Ihnen doch sicher auch schon erzählt.«
    »Ich wusste gar nicht, dass heute noch Leute auf diesem Friedhof beerdigt werden.« Sie schaute sich zwischen den barocken Grabsteinen um. »Es ist schön hier.«
    »Ganz toll.« Er verstummte.
    »Es ist wegen dem, was Sie mir neulich gesagt haben«, setzte sie schließlich an.
    »Dass Sie einsam sind?«
    »Dass Sie Detektiv werden wollen.« Miriam Wechsler warf ihm einen bösen Blick zu. Dann kramte sie in ihrer Handtasche.
    »Das hat sich erledigt«, sagte Viktor Anders.

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