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Gemordet wird immer

Gemordet wird immer

Titel: Gemordet wird immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Korber
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stieß dann alles auf den Boden, fegte die Nachttischlampe von der Platte, das Buch seiner Mutter, ihren Flitterkram, Strümpfe, Tabletten, alles, was er in die Finger bekam. Er schmiss das Schränkchen hinterher, nachdem er es an der Bettkante zerschlagen hatte. Er wütete wie ein Berserker.
    »Viktor?« Sein Onkel stand in der Tür.
    Viktor richtete sich schwer atmend auf.
    Sein Onkel zeigte auf die Uhr. »Wir haben einen Klienten«, sagte er sanft. »Am besten, du ziehst dich an.« Von Tobias sagte er nichts, auch das Chaos um sie herum erwähnte er mit keinem Wort. Nur sein Blick wanderte unauffällig über die Trümmerlandschaft, die aus dem Schlafzimmer seines Bruders geworden war. Viktor nahm das Tagebuch an sich und steckte es in seinen Hosenbund.

16
    »Um diese Zeit?«, blaffte Viktor, um irgendetwas zu sagen, als er sich in den Autositz warf.
    »Der Tod kennt keine Zeit.« Wolfgang Anders legte den ersten Gang ein. Der Wagen glitt hinaus in die Nacht.
    Was der Tod jedoch offenbar sehr gut kannte, war eine Menge bürokratischen Hickhacks. Als der Notarztwagen endlich den Hinterhof des alten Mietblocks verlassen hatte und die letzten Nachbarn von den Fenstern in ihre Betten zurückgekehrt waren, zeigte Viktors Armbanduhr vier Uhr fünfundvierzig. Ein Totenschein war noch nicht ausgestellt worden. Immerhin lag der alte Mann, den sie im Wohnzimmer zwischen einem Verhau aus Stuhlbeinen vorgefunden hatten, inzwischen ordentlich auf seinem Bett im Nebenzimmer.
    »Ohne Totenschein können wir nicht aktiv werden«, klärte der Onkel Viktor auf. »Der Arzt muss den natürlichen Tod bestätigen.«
    »Aber der Alte hatte doch eindeutig einen Herzinfarkt«, flüsterte Viktor. »Können wir nicht einfach schon mal anfangen, zumindest damit, ihn auszuziehen? Oder denkst du ernsthaft, dass es sich bei ihr um eine Schwarze Witwe handelt?« Er wies mit dem Kopf in Richtung Küche, wo eine alte Frau neben der Kaffeemaschine am Tisch saß und vor sich hin starrte, ohne das lautstarke Brodeln und Röcheln des leergelaufenen Wasserbehälters zu bemerken. Ständig zog sie ihren Morgenrock glatt und fand immer wieder ein Fäserchen, das sie mit ihren trockenen Fingern sorgsam abzupfte.
    »Frau Haberkorn, ich denke, der Kaffee ist jetzt fertig, vielen Dank«, rief der Onkel halblaut in die Küche und setzte die Frau damit in Gang wie eine aufgezogene Puppe. Zu seinem Neffen sagte er einfach: »Nein.« Damit setzte er sich an den Tisch und zog die Hosenbeine leicht an. »Ah, danke Frau Haberkorn.« Er wirkte völlig ruhig, nur seine Hände zitterten leicht.
    »Der Herr Doktor ist weg?«, fragte die Frau, nachdem sie ihnen zwei viel zu volle Tassen wackelnd an den Tisch balanciert hatte. Die Hälfte des Kaffees war in der Untertasse gelandet, die Löffel sichtlich nicht sauber. »Aber er wollte doch noch …« Ihre Stimme klang, als würde sie gleich in Panik ausbrechen.
    »Der Arzt wird in vier bis fünf Stunden wieder vorbeikommen, um den Totenschein auszustellen«, erklärte der Onkel beruhigend. »Milch und Zucker bitte, wenn Sie so nett wären.« Als Frau Haberkorn in der Küche war, fügte er zu seinem Neffen gewandt hinzu: »Dann sind die Totenflecken ausgebildet, die sogenannten sicheren Todeszeichen, die es braucht.«
    »Fünf Stunden«, raunte Viktor und gähnte. »Und was machen wir so lange?«
    »Ah, danke sehr, Frau Haberkorn.« Der Onkel nahm die Milch in Empfang und schob die Zuckerdose an Viktor weiter.
    Der trank seinen Kaffee eigentlich schwarz, aber ein Stirnrunzeln seines Onkels belehrte ihn, dass es hier nicht um kulinarische Vorlieben ging. So nahm er reichlich von allem, verrührte die Brühe, trank, verbrannte sich prompt und lobte alles überschwänglich.
    Onkel Wolfgang nickte zufrieden. Er führte seinerseits eine kurze Konversation über die Vor- und Nachteile von Dosenmilch, hörte sich geduldig an, welche Vorlieben der Verstorbene in dieser Hinsicht gehabt hatte, und fragte dann beiläufig: »Haben Sie Verwandtschaft in der Nähe, Frau Haberkorn? Eine Freundin, oder eine Nachbarin, die vorbeikommen könnte?«
    Die alte Dame schaute ihn groß an, so als müsse sie da wirklich nachdenken. Viktor war sich sicher, sie hätte in diesem Moment nicht einmal die Namen ihrer Kinder aufzählen können. Sie tat ihm leid. Endlich schüttelte sie den Kopf, was den Onkel veranlasste, Viktor einen tiefen Blick zuzuwerfen.
    Der tippte fragend auf seine Uhr. Der Onkel hob eine Braue. Ja, es war schon richtig, sie

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