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Gemordet wird immer

Gemordet wird immer

Titel: Gemordet wird immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Korber
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großen Schluck zu nehmen. Es war immerhin nicht seine erste Leiche; er wusste, was ihn erwartete. Was an diesem verdammten Keller sollte ihn denn jetzt noch erschrecken? Er trank ein zweites Mal und rülpste. Dann trat er mit Schwung ein.
    »Für dich«, sagte er und stellte Tobias die andere Flasche hin.
    Tobias saß unter einer Lampe, dicht über den Leichnam gebeugt. Von Zeit zu Zeit hob er den Kopf, um sich an einem Foto zu orientieren, das unterhalb der Arbeitslampe festgepinnt war. Viktor neigte sich vor und betrachtete das Bild. Es zeigte einen etwa Sechzigjährigen mit Cholerikergesicht und den hochroten Apfelwangen eines Mannes, der gerne trank. Der Tote hatte wenig Ähnlichkeit mit demjenigen auf diesem Foto. Seine Lippen waren blau, das eine Auge schwarz und geschwollen. Die Stirn wies einen Riss auf, der zu einem Wulst aus harter Haut zusammengezogen worden war. Man sah, dass die Fäden sich über den Hauträndern kreuzten.
    »Wird schwer sein, das zu überschminken«, meinte Viktor.
    Sein Cousin ging nicht auf das Gesprächsangebot ein. Weder schaute er auf noch reagierte er in irgendeiner Weise. Wenn er nicht beim Klang von Viktors Stimme kurz zusammengezuckt wäre, hätte dieser schwören können, Tobias hätte ihn nicht einmal bemerkt. Eine Weile stand Viktor einfach nur da, die Finger hinter dem Rücken verschränkt, und schaute Tobias bei der Arbeit zu. Es schien ihm wie ein Wunder, dass Tobias überhaupt vorankam. Seine Hände flatterten wie nervöse Vögel und machten so viele unnötige, verwirrende Wege, dass es schwer war, das System dahinter zu erkennen. Zunächst versuchte Viktor es, gab es dann aber auf: Es existierte keins. Tobias’ linke Hand griff zu dem Kasten mit dem Schminkzeug, verharrte darüber, zog sich zurück, wagte einen neuen Anlauf, dann wieder einen, und noch einen. Es war, dachte Viktor, als könne er sich einfach nicht entscheiden. Oder als hätte er unterwegs vergessen, was er sich hatte greifen wollen. Endlich packte er zu und hielt das Gewünschte in der Hand, einen Abdeckstift. Er zog den Deckel ab. Sein Blick glitt über die Arbeitsfläche. Endlich schien er entschieden zu haben, wo er den Deckel ablegen wollte. Doch nein, er griff noch einmal zu, korrigierte die Lage, richtete das Objekt parallel zum Rand des Tischchens aus, schob es dann nach unten, wieder nach oben, drehte es um hundertachtzig Grad, und endlich war er zufrieden.
    »Prost«, sagte Viktor konsterniert und nahm einen weiteren Schluck. Er warf einen kurzen Blick zu der Lade, in der Emily lag. Sie konnte auch noch ein bisschen warten, dachte er und beschloss, ein paar Anrufe zu erledigen, solange er ungestört war. Tobias’ Anwesenheit zählte ja nicht. Er kramte in seinen Taschen und zog die Liste mit den Seminarteilnehmern heraus, die Bulhaupts Assistent ihm kopiert hatte. Er strich sie glatt und legte sie auf den Tisch, dicht neben Tobias’ Stifte. Als sein Cousin grunzte, schob er sie ein Stückchen zur Seite. Die Nummer von Miriams Onkel war dabei, stellte er fest, doch ihn würde er später ja ohnehin persönlich treffen. »Null, neun, drei, sieben, zwo«, murmelte er, während er die erste Nummer wählte, und fluchte dann, weil er sich vertan hatte. »Also noch mal.« Zur Sicherheit suchte er mit dem Finger die Zeile mit den Zahlen.
    »Null. Neun. Drei«, begann er.
    »Sieben, zwo, vier, acht«, vollendete Tobias.
    Unwillkürlich tippte Viktor mit. Erst als schon das Freizeichen in seinen Ohren hallte, wurde ihm bewusst, was eben passiert war.
    Tobias war nicht zu bremsen. »Acht, drei, drei, null, zwo«, fuhr er fort. Er ratterte Zahlenfolge um Zahlenfolge herunter. Viktor kam kaum mit, sie vom Papier abzulesen. Die Nummern standen am rechten Blattrand, in einer Spalte eng untereinander. Ihm selbst fiel es sehr schwer, den Überblick zu behalten und nicht in eine andere Zeile zu verrutschen. Aber Tobias …
    »Du hast doch höchstens einen Sekundenbruchteil draufgesehen«, rief er erstaunt. Er zog das Blatt weg, vergebens.
    Tobias fuhr immer noch damit fort, die Telefonnummern aufzusagen. Als er unten in der Liste angekommen war, fing er wieder von vorne an.
    Viktor war ganz aufgeregt. Er faltete das Blatt und legte seinem Cousin die Namen vor. »Und was steht hier?«, fragte er.
    Tobias wich dem Blatt aus, als könnte es ihn blenden. »Gar nichts«, sagte er und wandte sich übergangslos wieder seinen Schminkstiften zu.
    »Das ist doch …« Viktor schüttelte den Kopf. Dann wählte er die

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