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Gemordet wird immer

Gemordet wird immer

Titel: Gemordet wird immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Korber
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die kühle Höhle betrat. Oder vielmehr das Loch, denn mehr als das war es nicht, wie er nach wenigen Schritten feststellte. Ein kurzes Stück konnte er noch aufrecht gehen, dann kroch er, und schließlich robbte er fast liegend über die Felsen. Was für ein Aufwand, um den Ort, den man sich zum Sterben ausgesucht hatte, zu erreichen, dachte er. Hier war es nicht romantisch, es war nicht kuschelig, es war feucht, klaustrophobisch eng und fast vollkommen dunkel. Wer sich hierher zurückzog, hatte keine Illusionen über den Tod. Er musste einfach nur verzweifelt gewesen sein. »Verkrochen wie ein krepierendes Tier«, murmelte er vor sich hin. Er dachte an die Leiche der verschwundenen Nachbarskatze, die sie vor Jahren unter ihrer Terrassentreppe gefunden hatten. Dann sah er sie im Kegel seiner Stirnlampe.
    »Woher wisst ihr, dass das eine Frau ist?«, fragte er, als er wieder ins Freie kam.
    »Stand in dem Abschiedsbrief.« Karoline Schneid hielt das in Plastik eingetütete Blatt hoch. »Ein Teenager.«
    »Was die bloß dazu getrieben hat?« Der Feuerwehrmann war sichtlich erschüttert. »Die hatte das Leben doch noch vor sich.«
    »Sicher«, sagte Viktor und ging ein paar Schritte zur Seite. Er wollte nicht hören, wie sie über das Motiv spekulierten. Sein Blick wanderte über den Waldboden. Bucheckern, stellte er fest, ein dicker Teppich von Schalen aus dem vorigen Jahr, von fleißigen Eichhörnchen schon lange geplündert. Dazwischen das erste frische Grün der Anemonen. Bald würde hier alles weiß blühen. Er zuckte mit den Schultern. Als er spürte, dass jemand neben ihn trat, schaute er auf. »Am einfachsten wäre es zu warten, bis die Leichenstarre abgeklungen ist«, sagte er.
    »Wir können nicht warten, solange das Gift dort drin ist.« Karoline Schneid schüttelte den Kopf. »Die Feuerwehr ist da kompromisslos.«
    Viktor verzog missmutig das Gesicht. »Selber machen wollten sie es aber nicht.«
    Die Schneid schwieg.
    »Na schön.« Er atmete einmal tief durch. »Es gibt wohl keine Alternative.«
    »Es gibt nie eine Alternative«, entgegnete sie.
    Viktor schaute sich um. »Haben Sie eine Seilwinde? Ich werde das Kabel um sie legen. Sie ziehen dann auf mein Kommando.«
    »Was haben Sie vor?«
    »Ihr etwas brechen«, hilflos zuckte er mit den Schultern. »Hab ja an Bulhaupt bewiesen, dass ich es kann.«
    Sie schaute ihn an. Dann schüttelte sie den Kopf.
    »Falls das ein Lächeln war«, sagte Viktor trocken, »dann vielen Dank.«
    »Gern geschehen.«
    Er wartete, dass sie mehr sagte. Doch es kam nichts. Also drehte er sich um und marschierte wieder auf die Höhle zu. Das Zittern in ihm wuchs mit jedem Schritt. Er wollte dort nicht wieder hinein, nicht mehr in die Enge, in der das Gestein einen zu erdrücken schien, nicht mehr zu dem Bündel schmutziger Kleidung, das im ersten Moment aussah, als hätte es schon viel zu lange dort gelegen. Wollte nicht mehr zu dem zerstörten, schwarz verschwollenen Rest eines Gesichts, dem aus dem Gewebebrei herausragenden Kieferknochen mit den übergroßen Zähnen, die im Lampenlicht grellweiß aufschimmerten, zu den verätzten Augäpfeln, dem Horror, begleitet vom Keuchen seines eigenen Atems unter der Maske. Er wollte wegrennen, sich die Sachen vom Leib reißen und frische Luft atmen. Einen Moment lang wusste er nicht, war dies die Realität, oder befand er sich in einem seiner Träume.
    Zögernd machte er ein paar Schritte auf die Öffnung zu, spürte das Bedürfnis, in die andere Richtung zu rennen. Dann stand er vor der Höhle.
    Deutlich fühlte er den kalten Stein unter seinem Handschuh. Ein zarter grüner Farn wippte vor seiner Nase, Tautropfen glitzerten in einem Spinnennetz.
    »Hier ist das Kabel«, sagte jemand.
    Viktor umklammerte es und nickte. Eine Antwort brachte er nicht heraus. Dann kroch er in das Loch.
    »Tja, mein Junge.« Sein Onkel betrachtete ihn, die Hände in den Jackettaschen, auf den Fußspitzen wippend. Sein Blick war beinahe mitleidig.
    »Schon gut.« Viktor winkte ab. »Wir wollen doch nicht sentimental werden.« Er zog seine Jacke aus und rieb sich die Hände, die trotz der Handschuhe kalt geworden waren. »Den Anzug hab ich in einem Plastiksack. Ich wusste nicht …«
    »Ich kümmere mich darum.«
    Viktor nickte einen knappen Dank. »Wo sind die anderen?«
    Sein Onkel wies mit dem Kinn zur Decke. »Oben. Probieren was aus, sagen sie. Ach ja, und ein Anruf.«
    Viktor, der schon hinauswollte, hielt inne.
    »Diese Kommissarin. Sie lässt dir einen

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