Gene sind kein Schicksal
Gene in den Tumorzellen trugen kleine chemische Kappen: sogenannte Methylgruppen. Durch diese Methylierung werden die betreffenden Gene in der Zelle ausgeschaltet, das war damals bekannt. Dieses Ausschalten bestimmter Gene müsse etwas mit dem Ausbruch von Krebs zu tun haben, davon war Szyf schon früh überzeugt. Seinem damaligen Professor durfte er damit aber nicht kommen. Die von Szyf auf Krebszellen entdeckte Methylierung tat der Chef ab: Die Methylierung sei nichts als ein »Abfallprodukt der Natur«.
Bis vor wenigen Jahren hielten Biologen die Methylierung für ein Phänomen, das ausschließlich in der frühesten Phase des Lebens eine Rolle spielt. Wenn der Samenfaden in die Eizelle eindringt und der Embryo entsteht, dann sind in den Zellkernen fast alle Methylgruppen entfernt – in diesem Zustand gleichen die Zellen unbeschriebenen Blättern. Doch während der Embryo heranreift, werden in den entstehenden Geweben bestimmte Gene ganz gezielt methyliert und auf diese Weise ausgeschaltet. Nur so kann das Wunder der Differenzierung gelingen. Manche Zellen werden zu Nervenzellen, andere zu Leberzellen, wieder andere zu Herzzellen – und das, obwohl sie alle das gleiche Erbgut haben. Keine Zauberhand regelt dieses Heranreifen, sondern eine molekulare Maschinerie für Methylgruppen.
Eine Methylgruppe kann nur an einen der vier DNA -Bausteine angehängt werden: an das Cytosin. Man könnte das Anheften einer winzigen Methylgruppe an den viel größeren DNA -Baustein Cytosin für eine unwesentliche Modifikation halten. Doch weit gefehlt: Durch die Methylierung kann sich entscheiden, ob ein Gen abgelesen wird oder nicht. Der Kölner Genetiker Walter Dörfler erklärt es seinen Studenten an einem Beispiel aus der Sprache: Das Wort »Achtung« verkehrt sich durch eine kleine Modifikation ins Gegenteil: in »Ächtung«.
Die Folgen können enorm sein. Wenn man die Ziffern der DNA mit einer Aneinanderreihung von Buchstaben vergleicht …
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… dann ist es die gezielte Methylierung, die daraus eine Abfolge macht …
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin,
Ein Märchen aus uralten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Die Luft ist kühl und es dunkelt,
Und ruhig fließt der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt,
Im Abendsonnenschein.
Die schönste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar,
Ihr gold’nes Geschmeide blitzet,
Sie kämmt ihr goldenes Haar,
Sie kämmt es mit goldenem Kamme,
Und singt ein Lied dabei;
Das hat eine wundersame,
Gewalt’ge Melodei.
Den Schiffer im kleinen Schiffe,
Ergreift es mit wildem Weh;
Er schaut nicht die Felsenriffe,
Er schaut nur hinauf in die Höh’.
Ich glaube, die Wellen verschlingen
Am Ende Schiffer und Kahn,
Und das hat mit ihrem Singen,
Die Loreley getan.
… die einen Sinn ergibt (hier am Beispiel von Heinrich Heines Loreley). Die Abfolge der Buchstaben ist nicht verändert worden.
Die Methylierung kann dem Erbgut also einen bestimmten Sinn geben, ohne dass die Abfolge der vier DNA -Buchstaben, der klassische genetische Code mit seinen Bauanleitungen für Proteine, verändert werden muss. Neben dem genetischen Code gibt es eine übergeordnete Ebene von Informationen: die Epigenetik. Die epigenetische (über den Genen liegende) Vererbung beschreibt zelluläre Informationen außerhalb der DNA -Sequenz. Die epigenetischen Muster werden an die Tochterzellen weitergegeben, wenn sich eine Körperzelle teilt. Gleichwohl ist diese Prägung nicht besonders fest, weil sie durch äußere Einflüsse verändert werden kann.
Diese epigenetischen Mechanismen waren es, die Moshe Szyf unermüdlich an Krebszellen erforschte. Unter seinen Kollegen in der Biologie hat ihn diese Faszination lange Zeit zum Außenseiter gemacht. Es galt der fatalistische Blick auf die Gene: Der von
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