Generalprobe Zeitballett
lange nicht entkommen.
Ich maß mit dem Stechzirkel die zurückgelegte Strecke ab und stellte fest, daß wir nach vierzehn Tagen mühevollster Fahrt kaum ein Drittel der Distanz Whurola-Bayronur zurückgelegt hatten. Wenn wir jetzt noch in ein Treibeisfeld gerieten und eingeschlossen wurden, konnte es Monate dauern.
»Feine Aussichten, was?« erkundigte sich der Kleine. Er saß erschöpft in einem hochlehnigen Stuhl. »Wie soll das weitergehen? Wenn wir hier im dicksten Winter angekommen wären, hätten wir gleich jede Planung aufstecken können.«
»Dann wäre ich über Westafrika gestartet.«
»Wo die argwöhnischen Phoroser herrschen, was? Denen hättest du das Märchen vom perkischen Nordlandfürsten nicht auftischen können. Sie hätten sich sofort dafür interessiert, wie ein Barbar überhaupt an die afrikanische Westküste kommen kann. Dazwischen liegt nämlich der Seeweg mit dem Eisschlund. Oder hättest du behaupten wollen, über Kleinasien und Ostafrika marschiert zu sein, nur um einen Atlantikhafen erreichen zu können? Spinne nicht, Großer! In abenteuerlichen Reiseschilderungen liest sich so etwas ganz gut, bis man selbst drinsteckt. Also, vergiß es. Wie kommen wir schneller voran; vor allem sicherer? Ich sehe jeden Augenblick die Stengen herunterkommen. Sie biegen sich schon bei dreifach gerefften Segeln durch, und mit den Stagsegeln allein kriegen wir zu wenig Fahrt. Der Kahn läßt sich ja kaum noch im Ruder halten.«
Die eintretenden Wissenschaftler enthoben mich einer Antwort.
Allison und Nishimura kamen zuerst. Ihnen folgten der Prähistoriker Ambrosius Tanahoyl, der ehemalige GWA-Captain und heutige Afro-Oberst Graham G. Maykoft und Dr. Samy Kulot.
Lang, dürr, bis ins Mark durchgefroren, stand er neben dem kugelrunden Historiker, dessen weiße Löwenmähne unter der Kopfbedeckung hervorlugte.
Tanahoyl, von uns »Ambro« genannt, schien trotz seiner siebzig Jahre weder ermattet noch geistig ausgelaugt zu sein. Ein zerfurchtes Mahagonigesicht paßte auf dieses urtümliche Segelschiff wie der Sand zur Wüste.
»Na, wollen die Herren aufgeben?« erkundigte er sich mit beißender Ironie. »Man muß wohl ein direkter Nachkomme englischer Seefahrer sein, um diese Verhältnisse als normal einstufen zu können.«
Hannibal sprang auf und umfaßte Ambros Kragen.
»Wenn Sie damit die Menschenschinderei Ihrer lieben Vorfahren verherrlichen wollen, dann tun Sie es nicht zu laut«, dröhnte seine Trompetenstimme. »Jeder Eurer Kommandanten war ein kleiner Diktator, der peitschen, kielholen und aufhängen konnte, so lange es ihm paßte. Das nannte man Disziplin, was? Ambro, das führen Sie hier garantiert nicht ein, oder ich sondiere den Sitz Ihres werten Blinddarms, klar?«
Tanahoyl befreite sich mit einer ruckartigen Bewegung von Hannibals Hand.
»Sie haben grundsätzlich Pech, mein Lieber. Mein Wurmfortsatz fiel schon vor fünfzig Jahren dem Skalpell eines Chirurgen zum Opfer. Nein, ich möchte hier durchaus nicht die harte Disziplin englischer Segelschiffskommandanten einführen, aber wenn Sie, Konnat –», er schaute mich zwingend aus seinen hellblauen Augen an, »nicht dafür sorgen, daß sich Ihre GWA-Spezialisten zusammenreißen, kommen wir nie an. Wir haben doch wenig Zeit, oder?«
»Sie sagen es überdeutlich. Hannibal, hinsetzen. Es reicht!«
»Warum läßt sich die prähistorische Super-Qualle keine Flossen wachsen, eh? Dann kann sie nach Bayronur schwimmen.«
»Haben Sie etwa mich gemeint?« erkundigte sich Ambro in gefährlich sanftmütigem Ton.
»Nein, nur Ihren Blinddarm und das, was jetzt noch drumherum schwabbelt. Mann, der Kannibale, der
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