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Generation A

Generation A

Titel: Generation A Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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König konnte nur tatenlos zusehen, mit Tränen in den Augen und in Gesellschaft von Schwärmen orientierungsloser Vögel, die den Korb seines Ballons umflatterten.
    Nach zehn Minuten begannen sich die Überlebenden zu fragen, ob sie in einem Traum gefangen waren; die alles zermalmende Erde war beinahe langweilig geworden, wie eine Karussellfahrt, die schon viel zu lange dauerte.
    Nach fünfzehn Minuten war nichts mehr zu zerstören übrig. Es stand kein einziges Gebäude mehr. Alle Statuen, alle Fernseh- und Kommunikationstürme, alle Laboratorien, alle Kinos, alle Fitnessstudios - weg.
    Und dann war das Erdbeben vorbei.
    Der König, dessen Nerven in Fetzen hingen, der keine Tränen mehr hatte, landete seinen Ballon auf den Resten eines ehemals stolzen Supermarkts. Das Beben hatte ihn so schwer erschüttert, dass das, was von ihm übrig war, sich als Schicht grauen Puders gesetzt hatte, unter der die größeren Brocken schlummerten, fein säuberlich nach Korngröße sortiert. Als er aus seinem Korb auf diesen Feinstaub trat, erinnerte er sich an ein Foto des ersten Fußabdrucks auf dem Mond, das er einmal gesehen hatte.
    Straßen und Parkplätze waren aufgeplatzt, und die Gehwegfragmente darüber waren zerbrochen wie Cracker, dann zerkrümelt, dann zu Staub zerfallen. Vorgärten hatten sich aufgetan und ganze Häuser und Bäume verschluckt, die nun tief im Inneren des Planeten lagen.
    Der König suchte nach Überlebenden und fand sie auch bald: versprengte, von Dreck und Erbrochenem starrende Gestalten, die, noch seekrank und irr nach dem fünfzehnminütigen Erdbeben, meinten zu halluzinieren, als sie ihren unversehrten, gepflegt gekleideten König vor sich sahen.
    Sie machten sich auf die Suche nach Nahrung, Wasser, Medikamenten und Schnaps, aber in den staubbedeckten Trümmern war nicht viel zu finden.
    Der König half einer Frau im mittleren Alter, die dort herumstocherte, wo sich einmal ein Minimarkt befunden hatte. Sie hielt eine durchsichtige Flasche mit etwas Flüssigem hoch und fragte den König, was sie enthielte.
    »Na, Wellness-Fruchtsaft mit Omega 3. Aber warum fragen Sie mich? Es steht doch alles auf dem Etikett.«
    Die Frau riss die Verschlusskappe auf und goss sich den halben Inhalt der Flasche ins Gesicht, um ihre Augen auszuwaschen. Dann trank sie den Rest und wühlte im Staub nach weiteren gleichartigen Flaschen.
    Eine vierspurige Ausfallstraße mit Discountern und anderen Einkaufsmöglichkeiten war so gründlich zerstört, dass sie nicht einmal mehr als Pfad bezeichnet werden konnte. Dort traf der König einige hippe junge Männer in Cargohosen und original Soundgarden-Shirts aus den frühen 1990 ern . Sie hatten Getränkedosen in der Hand und fragten den König, was darin wäre: »›Komm zu Daddy - Energydrink mit Koffein, Taurin und Vitamin-B-Komplex‹ ... Aber warum fragt ihr mich? Es steht doch alles auf dem Etikett.« Sie rissen schnell ihre Dosen auf und kippten den Inhalt hinunter, ohne den König weiter zu beachten.
    Der König ging weiter und traf einen seiner alten Lehrer von der Highschool, der nur am Leben geblieben war, weil er sich an diesem Tag krankgemeldet hatte, um seinen Jack-Russel-Terrier zum Tierarzt zu bringen. Er war im Stau steckengeblieben, wo er die fünfzehn Minuten im gepolsterten Komfortinnenraum seines Nissan Sentra 2010 ausgesessen hatte. Der Lehrer sagte. »Oh, König, Sie sind's. Was für ein Glück, dass ich Sie treffe. Sagen Sie mir doch bitte, bitte, was diese Dose hier enthält.«
    Der König sah sie sich an. »Chlorbleiche. Aber warum fragen Sie mich das? Es steht doch hier auf dem Etikett.«
    »Das ist eine komische Sache«, sagte der Lehrer, »aber ich kann nicht mehr lesen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Genau, wie ich es gesagt habe - ich betrachte diese Formen auf dem Etikett, und für mich sehen sie aus wie auf dem Kopf stehendes Hebräisch, gemischt mit auf die Seite gekipptem Koreanisch. Keine Ahnung, was nur eins dieser Zeichen besagt. Ach übrigens, ich sehe da einen Tsunami kommen. Hoffen wir, dass wir hier weit genug von der Küste entfernt sind.«
    Der König hatte keine Zeit, sich lange darüber Gedanken zu machen, warum das Erdbeben die Überlebenden ihrer Fähigkeit zu lesen beraubt hatte. Ein gigantischer Tsunami kotzte und schwappte von der Küste landeinwärts und machte aus der gerade erst eingestaubten Stadt einen sattbraunen Kuchenteig, der genau vor den Fußspitzen des Königs zum Stehen kam. Ein kleines Nachbeben ließ Blasen aus dem

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