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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Bierflaschen in der Ecke. Auf lustiges Soldatenleben ließen vor allem die Pin-up-Girls an den Wänden schließen. Tatarski nahm sich Zeit, sie zu betrachten. Eines der Mädchen, das splitternackt und schokoladenbraun einen tropischen Sandstrand entlangtollte, fand er besonders hübsch. Weder das Gesicht noch die Figur waren dafür entscheidend, sondern die erstaunliche, unbestimmbare Freiheit der Bewegung, die der Photograph eingefangen hatte. Sand, Meer und Palmwedel auf dem Photo stachen so ins Auge, daß Tatarski unwillkürlich seufzte – der dürftige Moskauer Sommer war lange vorbei. Er schloß die Augen, und einige Sekunden schien es ihm, als hörte er von ferne das Meer rauschen.
    Er setzte sich an den Tisch, breitete seine Fundstücke vor sich aus und unterzog sie einer nochmaligen Betrachtung. Die Palmen auf der Parliament-Schachtel und die auf dem Photo an der Wand glichen einander sehr; gewiß wuchsen sie an einem Punkt der Erde, wo er nie im Leben hinkommen würde – nicht einmal mit dem Panzer, wie es russische Sitte war. Oder allenfalls zu einem Zeitpunkt, da er von dieser Frau, diesem Strand, diesem Meer und sich selber nichts mehr zu erwarten hatte. Die Melancholie, in die dieser Gedanke ihn zog, war so tief, daß er an ihrem Grund unverhofft Licht sah: Plötzlich war der gesuchte Slogan für die Parliament-Zigaretten da, und die Idee für das Plakat dazu. Hastig zog er das Notizbuch hervor (der Stift steckte doch darin!) und schrieb:
    Bildvorlage für das Plakat: Ansicht der Moskwa-Promenade, von der Brücke aus photographiert, wo im Oktober 93 die historischen Panzer standen. Anstelle des Weißen Hauses eine Riesenschachtel Parliament (Computermontage) . Drum herum jede Menge Palmen. Slogan (Zitat Gribojedow):
    Süß ist der Rauch des Vaterlands
PARLIAMENT
(Variante: Motherland‘s smoke number one!)
    Er steckte das Büchlein zurück, sammelte seine Schätze wieder ein und ließ einen letzten Blick durch die Kammer schweifen. Einen Moment überlegte er, das Bild mit dem Strandmädchen an sich zu nehmen, doch er ließ es sein. Er löschte das Licht und trat auf das Dach hinaus, wo er erst einmal stehenblieb, um das Auge an die Dunkelheit zu gewöhnen. »Was nun?« fragte er sich und wußte die Antwort: »Zur Bahnstation.«

Arme Leute
    Der abenteuerliche Waldspaziergang vor Moskaus Toren verlieh Tatarskis Professionalität einen Schub. Treatments und Konzeptionen gingen ihm nun viel leichter von der Hand. Für den Parliament-Slogan ließ Pugin sogar einen kleinen Vorschuß springen. Tatarski habe damit ins Schwarze getroffen, meinte er, denn vor 93 habe eine Schachtel Parliament genauso viel gekostet wie eine Schachtel Marlboro, erst seit den bekannten Ereignissen sei Parliament die populärste Zigarettensorte in der Stadt und koste jetzt doppelt soviel. Was nichts daran änderte, daß der Rauch des Vaterlands, von Homer kommend ( Dulcis fumus patriae, wie Tatarski aus seinem Geflügelten Latein erfuhr), recht schnell die Lethe hinunterging (vermutlich auf glattem Eis, der Winter war schon hereingebrochen). Einziges, zwiespältiges Echo dieses Slogans auf Moskaus verschneiten Werbeflächen war der Spruch Vom Schiff auf den Ball – in einer Mentholzigarettenreklame, dominiert von Jacht, Wellenblau, einer Mütze voll Krabben und langen Beinen, konnte man ihn eine Zeitlang lesen. Hier hatte sich ein unbekannter Kollege frech in derselben Klassikerschublade bedient: Puschkin, Gribojedow, Verstand schafft Leiden . Tatarski litt, allerdings nur mäßig, was daran liegen mochte, daß das für die Mentholreklame ausgesuchte Mädchen einen zweifelhaften Eindruck machte und man den Slogan instinktiv anders las: Vom Schiff auf den Hund.
    Die in sein Nervenkostüm eingeflossene Fliegenpilzenergie entlud sich vornehmlich in Zigarettenwerbung – vielleicht nach demselben Mechanismus, wie das erste große sexuelle Erlebnis, die erste positive Drogenerfahrung eines Menschen
    seine Vorlieben für das ganze Leben prägen. Tatarskis nächster Treffer (was auch Pugin fand, der ihn erneut mit einem kleinen Sümmchen überraschte) war ein Text für die Marke Davidoff, was einigen Symbolwert hatte, da seine Karriere ja gewissermaßen mit ihr einmal begonnen hatte. Der Vorschlag nahm Bezug auf die Davidoff-Classic-Werbung, die gerade alle Tafeln im Zentrum besetzt hielt. Sie war in düsteren Tönen gehalten und zeigte in Großaufnahme ein welkendes Gesicht, aus den Augen sprach irgendeine lastende Gewißheit, darunter

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