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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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immer höher und majestätischer wurde.
    »Sprachverschwirrung. Turmbau futschi. Sturmfrau lutschi. Brautschau. Raubbau. Bauzaun. Da geht‘s rein. Na also.«
    In dem Drahtzaun, an dem Tatarski schon geraume Zeit entlanglief, gab es nun ein großes Tor, das mit zwei roten Reliefsternen geschmückt war. Darüber hing eine Baulampe, deren grellweißes Licht die Graffiti, mit denen das grüne Torblech übersät war, zum Leuchten brachte. Tatarski blieb stehen.
    Während der nächsten ein, zwei Minuten studierte er die für die mittleren russischen Breiten typischen Versuche, einschlägige Ortsnamen in lateinische Buchstaben zu transkripieren, ferner irgendwelche Personennamen mit grob aufgesetzter Krone, symbolische Penis – und Vulvadarstellungen, die englischen Verben für »Ficken« und »Blasen« in der dritten Person Singular Präsens, jedoch mit unmotivierten Apostrophen versehen, sowie zahllose Handelsmarken aus der Musikbranche. Dann stieß sein Blick auf etwas Sonderbares.
    Da war eine große – alles andere weit überragende, annähernd die ganze Breite des Tors einnehmende – Inschrift in orangener Leuchtfarbe (die im Scheinwerferlicht erstrahlte):
    THIS GAME HAS NO NAME
    Kaum hatte Tatarski das gelesen, nahm sein Bewußtsein das restliche hier versammelte ethnographische Material nicht mehr wahr; nichts war da mehr außer diesen fünf leuchtenden Wörtern. Er hatte das Gefühl, die Botschaft bis in die diffizilsten Nuancen hinein zu verstehen. Nicht, daß er in der Lage gewesen wäre, sie irgendwem zu erläutern, doch es gab keinen Zweifel: Die Inschrift verlangte von ihm, über diesen Zaun zu klettern. Und nichts war leichter als das.
    Hinter dem Tor war ein verlassener Bauplatz: weitläufige Wüste mit raren Spuren vormaliger Anwesenheit von Menschen. In ihrer Mitte erhob sich eine Bauruine – es hätte das Fundament einer kosmischen Radarstation sein können oder auch nur eine Art Parkhaus. Die Arbeiten waren eingestellt worden, als gerade das Tragwerk und die Mauern standen. Das Bauwerk ähnelte einem Stufenzylinder aus mehreren übereinanderliegenden Betonkammern. Eine von Eisenbetonpfeilern getragene Auffahrt führte in einer Spirale um sie herum und bis zur obersten Kammer hinauf; diese war von einem kleinen würfelförmigen Turm mit rotem Leuchtfeuer gekrönt.
    Tatarski vermutete, daß es sich um eines jener vielen in den siebziger Jahren begonnenen militärischen Objekte handelte, die das Imperium nicht zu retten vermocht, dafür aber wenigstens die Star-War-Ästhetik mitbegründet hatten. Der asthmatisch keuchende Darth Vader fiel ihm ein, eigentlich ein prächtiges Sinnbild für einen Karrierekommunisten: Bestimmt hatte der in seinem Raumschiff irgendwo eine künstliche Niere stehen, und zwei Kardiologenteams waren in Bereitschaft; diesbezüglich gab es, wie Tatarski sich dunkel entsann, im Film sogar Andeutungen. Im übrigen war es in seinem Zustand fahrlässig, an Darth Vader zu denken.
    Den halbfertigen Bau bestrahlten drei oder vier Scheinwerfer – in ihrem Kegel traten Teile der Betonmauern und der Auffahrt sowie das obere Türmchen mit dem Leuchtfeuer aus dem Halbdunkel hervor. Wäre dieses blinkende rote Lämpchen nicht gewesen, hätte die Unfertigkeit des Bauwerks im Dämmerlicht als Verfall und Verwitterung durchgehen können – man hätte ihm gut und gern ein Alter von tausend, wenn nicht zehntausend Jahren gegeben. Wobei Tatarski der Gedanke gefiel, daß das Lämpchen von einer uralten Elektrizität hätte gespeist sein können, unterirdisch herangeführt aus dem alten Ägypten – oder aus Babel.
    Jüngere Spuren von Menschenhand gab es nur dort, wo er gerade stand. Hier beim Tor befand sich eine Art Militärvorposten: ein paar Wohnwagen, ein Turnreck, eine Tafel mit Feuerlöscheimer und Brecheisen sowie eine Plakatwand, worauf deckungsgleiche Soldaten mit einem Ausdruck merkwürdiger Introvertiertheit in den Gesichtern die Exerziervorschriften demonstrierten. Der Riesenpilz mit Blechhut und Telefon setzte Tatarski nicht in Erstaunen: Offensichtlich war dies der Platz für den Wachposten. Zunächst glaubte er, daß niemand auf Posten war; als er jedoch bemerkte, daß der spitz zulaufende Hut rot angestrichen und mit symmetrischen weißen Flecken verziert war, wurde er unsicher.
    »Alles nicht so einfach«, flüsterte er.
    Im selben Augenblick hörte er eine leise, spöttische Stimme neben sich sagen:
    »This game has no name. It will never be the same.«
    Tatarski fuhr herum.

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