Generation P
stand der Spruch:
the more you know
DAVIDOFF CLASSIC
Als Tatarski das weise, zerfurchte Antlitz zum erstenmal sah, fragte er sich, was dieser fremde Raucher wohl wissen mochte. Auf Anhieb fiel einem dazu nur eine recht finstere Variante ein: Röntgentermin im onkologischen Zentrum, Befund positiv.
Tatarskis Entwurf war vollkommen diametral: auf hellem Fond ein jugendliches Gesicht, ahnungslos selig, dazu die weiße Packung mit den schwebenden Goldbuchstaben und der Text:
Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.
Zu viel Wissen verdirbt den Geschmack.
DAVIDOFF LIGHTS
Pugin meinte, ein Davidoff-Vertreter würde das wohl kaum gutheißen, aber mit großer Wahrscheinlichkeit irgendein anderer Zigarettendealer. »Ich werde mit Asadowski reden«, warf er lässig hin, »der hält sechzehn Brands exklusiv«. Tatarski meinte den Namen schon gehört zu haben; den Satz schrieb er sich sogleich in sein Büchlein, um ihn später einige Male ins Gespräch mit den Kunden einzuflechten; darin, daß er die Zahl
der Brands für sich in der Regel halb so hoch veranschlagte, äußerte sich seine angeborene Schüchternheit.
Die Arbeit, mit der er seine Basisversorgung abdeckte, war öde, ermüdend und manchmal sogar ein bißchen peinlich:
Boris K. ist baß erstaunt:
Klappgaragen im Discount!
Oder:
Da hilft kein Beten mehr!
Pantene Pro-V muß her!
Der rudimentär erhaltene literarische Geist aus alten Redaktions – und Verlagsstuben, ein weißes Restrauschen der Sowjetpsyche sozusagen, trug immer noch seine kleinen Früchte.
Als der Winter kam, hatte Tatarski seine Einzimmerwohnung einigermaßen auf Vordermann gebracht. (Natürlich erblaßten die kornblumenblauen Fliesen aus Sowjetzeiten angesichts der teuren italienischen Mischbatterie, die aussah wie ein Goldzahn im Mund eines Aussätzigen, und sie fielen von der Wand; für eine Generalrenovierung fehlte das Geld.) Außerdem schaffte er sich einen neuen Computer an, wiewohl dafür keine rechte Notwendigkeit bestand – es gab Probleme mit dem Ausdruck der im guten alten Textverarbeitungsprogramm erstellten Manuskripte, das war alles. Und schon hatte Bill Gates einen stöhnenden Knecht mehr unter seiner eisernen Ferse. Tatarski grämte sich nicht sonderlich, auch wenn er den zutiefst symbolischen Charakter dessen, was da geschah, erkannte: Das Betriebssystem war zur zentralen Botschaft avanciert, fraß Unmengen Speicherplatz und Energien und glich darin jenem neuen Russen, der so dreist gewesen war, die staatlichen Lehrergehälter über seine Bank umzuleiten.
Je tiefer Tatarski in den Werbedschungel vordrang, um so mehr Fragen stellten sich ihm, auf die Al Ries‘ Schlachtenratgeber und dessen Nachfolger The Final Positioning keine Antwort wußten. Ein Kunstwissenschaftler im Kenzo-Look schwor Tatarski, daß sämtliche bei Al Ries nicht angerissenen Themen in David Ogilvys Geständnissen eines Werbemannes erschöpfend behandelt seien. Dabei hatte Tatarski diesen Ogilvy längst im Herzen wohnen – insgeheim stand für ihn nämlich fest, daß es sich um jenen tapferen Mann handeln mußte, der Big Brothers ergebenem Diener Winston Smith in Georg Orwells 1984 im Geiste erschienen und dort auch gleich den virtuellen Heldentod gestorben war. Daß Genosse Ogilvy seiner zwiefachen Irrealität zum Trotz doch nicht im Ozean des Nichtseins ertrunken, sondern ans Ufer zurückgeschwommen war, sich ein Pfeifchen angezündet, ein Tweed-Jackett angezogen hatte und nunmehr als Werbefachmann von Weltruf firmierte, erfüllte Tatarski seinem neuen Berufsstand gegenüber mit einem geradezu mystischen Weihegefühl.
Am meisten nützte ihm allerdings ein anderes Buch, der Verfasser hieß Rosser Reeves. Ihm verdankte Tatarski zwei Grundbegriffe – hilfreich überall dort, wo es darauf ankam, jemandem etwas vorzumachen. Den ersten Entwurf, der auf diese beiden Begriffe setzte, schrieb er zu Nescafe Gold – da waren die gesicherten Erkenntnisse, die er darin formulierte, für ihn selbst noch keine zwanzig Minuten alt:
Die Effektivität einer Werbekampagne mißt sich bekanntlich an zwei grundlegenden Quoten: Infiltration und Konversion. Die Infiltrationsquote bezeichnet den Prozentsatz an Leuten, die eine Werbung im Gedächtnis behalten. Die Konversionsquote ist der Prozentsatz an Leuten, die mittels dieser Werbung angehalten werden, das Produkt zu konsumieren. Das Problem liegt darin, daß eine Werbung mit hohem Skandalwert, der eine hohe Infiltrationsquote garantiert, durchaus nicht
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