Generation P
Kultpornofilme so lange seine Zweifel zu haben, wie er noch keinem ihrer Kultgänger leibhaftig begegnet war. Drittens – und das war das Entscheidende – wußte er, wer dieser Sasha Blo war.
Sasha Blo hieß eigentlich Eddi und war ein nicht mehr ganz junger, kahlköpfiger, trübseliger Vater dreier Kinder. Um die Miete hereinzubekommen, schrieb er unter drei oder vier Pseudonymen gleichzeitig für mehrere Zeitschriften und zu beliebigen Themen. Das Pseudonym Blo hatten Tatarski und er gemeinsam kreiert – als sie nämlich, auf der Suche nach dem von Eddis Frau versteckten Wodka, unter der Badewanne auf ein mit himmelblauem Fensterputzmittel gefülltes Fläschchen gestoßen waren, das diesen Namen trug. In dem Wort Blo schien die Essenz unerschöpflicher Lebenskraft zu stecken, jedoch mit einem durchaus nichthumanoiden Ferment. Darum setzte Eddi es sparsam ein. Mit Blo zeichnete er nur Artikel, die vor grenzenloser Freiheit und, soll man sagen: Ambivalenz? so sehr strotzten, daß Iwanow oder Petrow einfach blöd gewirkt hätten. Die Moskauer Hochglanzpostillen zeigten sich an derlei Ambivalenz interessiert, ja, sie waren so scharf darauf, daß man sich fragte, wer hier die Infiltration betrieb; dachte man über diese Frage richtig nach, konnte einem angst und bange werden. Tatarski jedoch, als er den Artikel zur Lust im schwellenden Kitzel gelesen hatte, wußte Bescheid: Kein dämonischer Spion war hier am Werk und kein heruntergekommener Cherub mit menschlichem Antlitz, sondern schlicht und einfach Eddi.
Natürlich nicht er allein. In Moskau mußte es an die zwei-, dreihundert solcher Eddis geben: Universalgenies im Küchenmief, mit Kind als Klotz am Bein. Mitnichten verlief deren Leben zwischen Kokainlinien, Sexparties und Disputen über Burroughs und Warhol, wie ihre Ergüsse es glauben machten, sondern zwischen Windeltöpfen und den unausrottbaren Moskauer Kakerlakenpopulationen. Von snobistischem Hochmut, züngelnder Geilheit, kaltem Dandytum und luziferischen Anwandlungen nicht die Spur – nicht einmal ein Mikro Acid einzuwerfen, zeigten sie rechte Lust, wogegen sie es sich angewöhnt hatten, mehrmals am Tag etwas ätzend zu finden. Geplagt von Verdauungs-, Finanz – und Wohnraumproblemen, sahen sie Danny de Vito ähnlicher als Gary Oldman, auch wenn ihr Œuvre anderes hätte erwarten lassen.
Tatarski mochte also keinen gläubigen Blick in die von Sasha Blo aufgezeigte Ferne werfen, da er selbige physiologisch herzuleiten, das heißt, auf Eddis gestreßten Kahlkopf zurückzuführen wußte. Eddi war an seinen Computer gekettet wie weiland die Habsburger Soldaten an ihre Maschinengewehre. Ihm sein Produkt abzunehmen fiel schwerer, als beim Telefonsex auf Touren zu kommen, wo man auch sicher sein konnte, daß nicht die vom Werbephoto verhießene Blondine sich hinter dem lasziven Röcheln am anderen Ende der Leitung verbarg, sondern eine verschnupfte Mitfünfzigerin, die ihre paar Standardsätze beim Sockenstricken vom Spickzettel herunterlas, derweil es ihr aus der Nase auf den Hörer tropfte.
Doch woher nehmen solche wie Eddi und ich die Ahnung, wozu die Leute bekehrt werden wollen? stellte Tatarski sich die nächste Frage. Okay – ein gut Teil Intuition ist dabei. Von einem bestimmten Grad der Verzweiflung an muß man niemanden mehr fragen, was zu tun und zu lassen ist. Der knurrende Magen verrät einem, wohin der sogenannte Trend geht. Nur, wie entsteht dieser Trend? Wer denkt ihn sich aus? Wo alle Welt doch genug damit zu tun hat, ihm hinterherzuhecheln, ihn zu checken und zu verkaufen, so wie Eddi und ich und die ganze Hochglanzjournaille?
Dies war finsteres Gedankengut, das sich im wenig später verfaßten Treatment für einen Ariel-Waschmittelwerbespot niederschlug.
Die Szene operiert mit Personal aus Shakespeares Drama Der Sturm. Setting: nächtliche Steilküste. Musik: düster und pathetisch. Wellenbrecher im fahlen Mondschein. Altes Schloß im Hintergrund, auch vom Mond beschienen. Vorn am Felsrand steht ein Mädchen, bezaubernd schön: Miranda. Middle-Ages-Fassion – Kleid aus rotem Samt, hohe Haube mit wallendem Schleier. Sie hebt die Arme gen Mond und spricht einen dreifachen, rätselhaften Schwur. Beim drittenmal grollt ferner Donner. Die Musik wird lauter und gefährlicher. Aus dem Spalt zwischen zwei düsteren Wolken fällt ein Mondlichtkegel auf den Felsgrat zu Mirandas Füßen. Bestürzung auf ihrem Gesicht: Man sieht, gleich wird etwas geschehen, das sie fürchtet und zugleich
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