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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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einen Tequilla gedacht und wußte nicht, warum er nun, vor dem Barkeeper stehend, einen Smirnoff verlangte: Normalerweise konnte er dieses Gesöff nicht ausstehen. Er kippte ihn gleich im Stehen und verlangte noch einen, mit dem er zum Tisch zurück ging. Hier hatte inzwischen jemand Platz genommen: Bartträger um die Vierzig, die Haare lang und fettig, bekleidet mit einer unförmigen, buntbestickten Kutte – ein Alt-Hippie augenscheinlich, einer von denen, die weder in die Vergangenheit, noch in die Gegenwart paßten. An seinem Hals baumelte ein großes, kupfernes Kreuz.
    »Entschuldigen Sie«, sagte Tatarski, »hier habe ich gesessen.«
    »Dann setz dich doch und sehr zum Wohl!« kam die Antwort. »Oder brauchst du zum Trinken den ganzen Tisch?«
    Schulterzuckend setzte Tatarski sich ihm gegenüber.
    »Ich heiße Grigori«, sagte der Mann freundlich.
    Tatarski sah ihn mit müden Augen an.
    »Wladimir«, erwiderte er.
    Grigori fing den Blick auf, runzelte die Stirn und schüttelte mitfühlend den Kopf.
    »Junge, du siehst vielleicht mitgenommen aus«, sagte er. »Sniffst du?«
    »Kommt hin und wieder vor«, bestätigte Tatarski.
    »Schön dumm. Überleg doch mal, die Nasenschleimhäute, das ist fast wie das offene Hirn. . . Und wo dieses Zeug überhaupt herkommt und wer da mit welchen Körperteilen reingelangt hat, hast du darüber schon mal nachgedacht?«
    »Gerade eben«, gab Tatarski zu. »Aber was heißt: mit welchen Körperteilen – welche kämen denn in Frage, von der Nase mal abgesehen?«
    Grigori sah sich nach allen Seiten um, zog eine Wodkaflasche unter dem Tisch hervor und tat einen kräftigen Schluck.
    »Kennst du zufällig einen amerikanischen Schriftsteller namens Harold Robbins?« fragte er, während er die Flasche wieder versteckte.
    »Kenne ich nicht.«
    »Ein ziemliches Arschloch. Aber alle Englischlehrerinnen lesen ihn. Deswegen ist das Englisch der Kinder so mies. Von dem kursieren in Moskau massenhaft Schwarten. In dem einen Roman kommt ein Neger vor, so ein Fickprofi, der sich die reichen weißen Weiber vornimmt. Also der streut sich, bevor es losgeht, immer reines Kokain auf seinen . . .«
    »Bitte, ich habe verstanden«, unterbrach ihn Tartarski. »Ich muß gleich kotzen.«
    ». . . auf seinen schwarzen Riesendödei«, sprach Grigori seinen Satz genußvoll zu Ende. »Was der Neger jetzt soll, willst du wissen? Ich sag es dir. Letztens hab ich wieder mal den guten alten Daniil Andrejew gelesen, die Weltrose, weißt du, die Stelle, wo es um die Seele Rußlands geht. Andrejew meint, daß es eine Frau ist, und sie heißt Navna. Ich hatte auf einmal eine Vision: Sie liegt da wie schlafend auf so einem weißen Marmorblock, und über sie gebeugt steht so etwas Schwarzes, Undeutliches, mit Stummelflügeln, Gesicht nicht zu erkennen, und tut sie . . .«
    Grigori zog etwas wie ein großes, unsichtbares Lenkrad an seinen Unterleib.
    »Soll ich dir sagen, was ihr da konsumiert?« wisperte er und rückte mit seinem verzerrten Gesicht auf Tatarski zu. »Das – genau das! Was er bei sich draufstreut. Und in dem Moment, wo er ihn reinschiebt, haltet ihr den Arm oder die Nase hin. Und wenn er ihn wieder rauszieht, kommt ihr gerannt und guckt, wo ihr Neues herkriegt. Und er – immer rein, raus, rein, raus.«
    Tatarski beugte sich in den Spalt zwischen Tisch und Bank und übergab sich. Dann schielte er betreten zum Barkeeper hinüber: Der redete mit einem Gast und schien nichts bemerkt zu haben. Als Tatarski sich umsah, fiel sein Blick auf ein Werbeplakat an der Wand. Der Dichter Fjodor Tjuttschew war darauf abgebildet, mit Kneifer im Gesicht, Mantel auf den Knien und Glas in der Hand. Sein durchdringend melancholischer Blick war aus dem Fenster gerichtet, mit der freien Hand streichelte er einen Hund, der neben ihm saß. Das Seltsame war, daß Tjuttschews Armstuhl nicht auf dem Boden stand, sondern kopfüber an der Decke klebte. Tatarski ließ die Augen nach unten wandern, denn dort stand etwas:
    Verstand wird Rußland nie verstehen.
An Rußland kann man nichts als glauben.
SMIRNOFF
    Alles war friedlich. Tatarski richtete sich wieder auf. Er fühlte sich jetzt bedeutend besser. Grigori saß zurückgelehnt und tat einen weiteren Schluck aus seiner Flasche.
    »Ekelhaft«, konstatierte er. »Man muß ein sauberes Leben führen.«
    »Ach ja? Wie soll das denn gehen?« fragte Tatarski, während er sich den Mund mit einer Serviette wischte.
    »Nur LSD. Nur durch den Darm. Und nur mit Gebet.«
    Tatarski

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