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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Landschaft hineinzulaufen. Erst recht, wenn man das Bild selbst mitgemalt hatte. Der Haken war, daß man als reicher Mann, wie es Tatarski schien, durchaus die Chance hatte, in die fingierte Wirklichkeit vorzudringen. Die Scheiben des für arme Schlucker obligatorischen Schaukastens ließen sich durchschreiten. Wie die Welt der Reichen von innen aussah, hatte Tatarski allerdings keine genaue Vorstellung. In seinem Bewußtsein gingen sehr verschwommene Bilder um, Klischees aus der Werbung, von ihm selbst seit langem in Umlauf gehalten, weshalb er ihnen nur mißtrauen konnte. Daß man sich an die Reichen selbst halten mußte, um zu erfahren, welche Horizonte ein gut gefülltes Bankkonto offerierte, schien klar. Es war reiner Zufall, daß Tatarski einmal Einblick bekam.
    Er saß im Szenelokal Arme Leute und vertrank irgendein kleines Honorar, als er die Unterhaltung zweier bekannter Gesichter aus dem Fernseh-Showgeschäft am Nachbartisch mitbekam. Es war weit nach Mitternacht, die beiden schienen ein anderenorts begonnenes Besäufnis hier fortzusetzen. Tatarski saß wenige Meter entfernt, doch sie scherten sich so wenig um ihn, als wäre er ein ausgestopfter Copywriter, den man zur Belebung des Interieurs an den Tresen genagelt hatte.
    Der Umstand, daß die Typen stark angetrunken waren, tat ihrer schillernden Präsenz keinen Abbruch. Jede Falte ihrer Klamotten strahlte wie in holographischem Glanz, Tatarski hatte den Eindruck, als sähe er die beiden nicht leibhaftig am Nebentisch sitzen, sondern auf einem direkt vor ihm aufgestellten Riesenbildschirm. Ein Effekt, an dem nicht zu zweifeln war, wiewohl Tatarski ihn sich nur schwer erklären konnte. Ihm kam der Gedanke, daß man im Höllenbad wohl lange zu scheuern haben würde, bis der letzte Rest öffentlicher Aufmerksamkeit aus den Poren dieser Seelen entfernt war. Er ließ den Gedanken ins Leere laufen und hörte nur noch zu.
    Die Stars redeten vom Geschäft – der eine schien Probleme mit seinem Vertrag zu haben.
    »Wenn sie ihn wenigstens noch bis nächstes Jahr verlängern würden«, sagte er und drückte sich beide Daumen.
    »Selbst wenn«, erwiderte der andere. »Was wäre hinterher? Ein Jahr geht rum, dann geht dasselbe von vorne los, und du schluckst wieder Validol. . .
    »Ich horte mein Geld«, sprach der erste leise, man wußte nicht, ob der verschwörerische Ton ernst gemeint war.
    »Wozu?«
    »Ich habe da einen seriösen, ausgeklügelten Plan.«
    Er ließ sich schwer auf die Tischplatte fallen und goß Wodka nach.
    »Mir fehlen noch fünfhundert Mille«, verkündete er. »Die will ich mir noch krallen.«
    »Was ist das für ein Plan?«
    »Es bleibt doch unter uns? Paß auf.«
    Er fuhr sich mit der Hand in die Jackentasche, wühlte eine Zeitlang und förderte schließlich ein doppelt gefaltetes Stück Hochglanzpapier zutage.
    »Da steht es drin. Königreich Bhutan. Das einzige Land auf der Welt, wo Fernsehen verboten ist. Richtig verboten, verstehst du! Die schreiben, in der Nähe der Hauptstadt gäbe es eine ganze Siedlung, wo ehemalige Fernsehgrößen wohnen. Wenn du dein ganzes Leben in dem Laden gearbeitet hast und willst am Ende raus aus dem Geschäft, dann ist es das Größte, was du tun kannst, deinen Kram zu packen und nach Bhutan zu gehen.«
    »Und dafür brauchst du fünfhundert Mille.«
    »Nein. Die müßte ich hierlassen, damit sie mich in Bhutan nicht suchen. Kannst du dir das vorstellen? Verboten! Nirgends ein Fernseher, außer bei der Spionageabwehr! Und in den Botschaften!«
    Der andere nahm ihm das Blatt aus der Hand, entfaltete es und fing an zu lesen. Währenddessen konnte der erste den Mund nicht halten:
    »Das heißt, wenn irgendwer einen Fernseher bei sich zu stehen hat, und die Behörden kriegen Wind davon, dann kommt ihm die Polizei ins Haus, verstehst du? Sie verhaften den Arschficker und stecken ihn in den Knast. Oder erschießen ihn an Ort und Stelle.«
    Das Wort Arschficker zischte bei ihm wie ein geschwungener Säbel – so wie es nur ein Klemmschwuler zuwege bringt, der sich die Freuden der Liebe im Namen eines verquer interpretierten Gesellschaftsvertrages verdrückt. Sein Gegenüber verstand alles und sagte nichts dazu – er vertiefte sich in den Artikel.
    »Aha. Wirklich interessant«, sagte er. »Wer ist dieser Eduard Debirsjan, der das geschrieben hat?«
    Tatarski fiel fast vom Stuhl. Er nutzte die Gelegenheit, sich zu erheben und aufs Klo zu gehen. Nicht das Verhältnis der Fernsehleute zu ihrer Arbeit war es, was ihn

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