Generation P
begehrt. Bänglich-seliger Gesang (Frauenstimmen) – Spiegel ihres Befindens. Ein Schatten kommt den Lichtkegel herabgefahren und entpuppt sich im Crescendo der Musik als stolzer, vornehmer Geist im wehenden Gewande, mit langem, vom Mond versilbertem Haar, das Haupt von einem schmalen Kranz aus Diamanten geschmückt: Ariel. Kurz vor Miranda macht er halt, reicht die Hand zum Gruß hernieder. Nach sekundenlangem Kampf streckt Miranda die ihre entgegen. Schnitt. Die sich begegnenden Hände in Großaufnahme. Von unten links die blasse, zarte Hand Mirandas, von oben rechts die ätherische, strahlende Geisterhand. Sie berühren sich, alles versinkt in gleißendem Licht, der Luftgeist hat sich in ein Waschpulverpaket verwandelt. Männliche Stimme aus dem Off:
Der Wind hat ihr ein Lied erzählt. Ariel.
Es konnte gut sein, daß die konkreten Bildlösungen für diesen Clip von einem großen Plakat in Schwarzweiß inspiriert waren, das Tatarski über dem Schreibtisch hängen hatte, Werbung für irgendeine Boutique: darauf ein langhaariger junger Mann mit gepflegtem Dreitagebart, den weiten Mantel lässig über die Schultern geworfen; der Wind hat das edle Stück aufgebläht, was mit dem Segel des am Horizont zu sehenden Bootes schön korrespondiert. Die Wellen, die sich an den Steinen brechen und gegen das Ufer schäumen, rollen kurz vor den Spitzen seiner Lackschuhe aus. Das Gesicht ist zur düsteren, schroffen Grimasse erstarrt. Irgendwie fühlte Tatarski sich an irgendwelche Adler oder Möwen auf der jüngsten Photoshop-CD-ROM erinnert, die sich mit ausgebreiteten Flügeln in den nebelverhangenen Himmel schwangen – recht betrachtet, dieselbe Soße, aus der dieses Boot hier am Horizont hervorgeschwommen kam.
Die Komposition war von Romantik so übervoll und gleichzeitig so ernüchternd, daß Tatarski, dem Blickfang tagelang ausgesetzt, zu einer Überzeugung gelangte: Die Weltanschauung, auf die sich diese Photographie zu stützen suchte, entstammte dem neunzehnten Jahrhundert, Reste davon waren dem zwanzigsten zusammen mit den Reliquien eines Grafen von Monte Christo überkommen – doch an der Schwelle zum einundzwanzigsten war das gräfliche Erbe endgültig durchgebracht. Zu oft hatte der menschliche Geist sich selbst diese Romantik anzudrehen versucht, als daß damit noch irgendein Geschäft zu machen gewesen wäre. Bei jedem noch so treuherzigen Versuch, sich auf den Arm zu nehmen, blieb der Glaube an die Kongruenz von Veräußertem und Verinnerlichtem auf der Strecke. Die Form hielt längst nicht mehr, was ihr Nennwert versprach, sie war hohl, von Motten zerfressen. Beim Anblick des Hilfsnibelungen im Studioambiente ergriff einen beileibe nicht der hehre gotische Geist, wie Gischt und Backenbart ihn vorspiegeln wollten – man fragte sich vielmehr, wie teuer der Photograph gewesen war, wieviel sie dem Model für die Session gezahlt und ob sie ihm die versehentlichen Flecken von Gleitgel am Hosenboden (Frühjahrskollektion!) in Rechnung gestellt hatten. Und nicht nur dieses blöde Photo über seinem Schreibtisch, nein, ausnahmslos alle Bilder, die einem als Kind das Herz hatten höher schlagen lassen, all die Palmen, Schaufelraddampfer, tiefblauen Abendhimmel waren davon betroffen; man mußte ein klinischer Idiot sein, um sich die Fähigkeit erhalten zu haben, seine Sehnsüchte nach dem Unerreichbaren auf derlei konfektionierte Handelsmuster zu projizieren.
Tatarski war nahe daran, sich in seinen eigenen Spekulationen zu verstricken. Einerseits ließ sich nicht leugnen, daß Eddi und er damit beschäftigt waren, den Leuten ein künstliches Lebenspanorama zu schustern (vergleichbar jenen Schlachteninszenierungen im Museum, wo zu Füßen des Betrachters ein paar Schippen Sand ausgebreitet und diverse löchrige Stiefel und Patronenhülsen darüber verstreut, Panzer und Detonationen hingegen an die Wand gemalt sind), und daß sie sich einzig und allein von ihrem Riecher leiten ließen, was man ihnen abkaufen würde und was nicht. Mit vielen anderen Konkurrenten im schlauchenden Werbegeschäft hielten sie den Bereich Bild und Information besetzt und suchten ihn so zu manipulieren, daß die fremde Seele ihren Beutel öffnete. Das Ziel war sonnenklar: einen winzigen Bruchteil dessen, was ihm entsprang, in die eigene Tasche zu leiten. Andererseits investierte man dieses Geld in den Versuch, der Objekte besagten Panoramas teilhaftig zu werden. Das war im Grunde so einfältig, als versuchte man in eine an die Wand gemalte
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