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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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in Erstaunen setzte, wiewohl das Ausmaß an geistigem Verfall bei diesem Menschenschlag hätte vermuten lassen können, daß mancher von ihnen sogar gern tat, was er tat. Etwas anderes hatte ihn umgehauen. Sasha Blos Eigenart war es nämlich, Artikel, die er für besonders gelungen hielt, mit seinem richtigen Namen zu zeichnen. Und über alles in der Welt liebte er es, die Ausgeburten seiner durchgeknallten Phantasie als Reportagen aus der Wirklichkeit zu verkaufen – wobei er sich diesen Luxus recht selten leistete.
    Tatarski legte sich seine Kokainspur direkt auf den kühlen weißen Spülkasten, ließ die Klumpen Klumpen sein, inhalierte das Ganze mit einem zusammengerollten Hundertrubelschein (die Dollars waren ihm ausgegangen). Dann holte er sein Büchlein hervor und schrieb:
    Die Wand, an die das Schaubild einer nichtexistierenden Welt gemalt ist, verändert sich selbst nicht. Doch für eine größere Summe Geld kann man eine aufgemalte Sonne, eine lasurblaue Bucht, eine schöne Abendstimmung als Fensterblick für sich erwerben. Wobei dieses Fragment leider von Eddi stammt – was keine Rolle spielt, denn das Fenster, zu dem man den Ausblick erworben hat, ist auch bloß gemalt. Die Wand am Ende gar auch? Aber womit und worauf?
    Er sah auf zur Klowand, als müßte dort die Antwort zu finden sein. An den Kacheln stand, schwungvoll mit rotem Marker gemalt, der bündige Slogan:
    TRAPPED? MASTURBATE!
    Er kehrte ins Lokal zurück, setzte sich an einen anderen Tisch, weg von den Unterhaltungskünstlern, und versuchte der Volksweisheit zu gehorchen, die empfahl: Entspanne dich und hab deinen Spaß. Allerdings schlug der Versuch fehl – wie üblich. Das greuliche Moskauer Kokain, gestreckt von den ungewaschenen Händen einer ganzen Dealerkette, hatte im Nasen-Rachen-Raum diverse Apothekengerüche und – geschmäcker hinterlassen, ein Bouquet von Streptomycin bis Aspirin, und weiter unten zu schwerem Krampf und Zittern geführt. Es hieß, daß dieser Stoff, der in Moskau für einhundertfünfzig Dollar das Gramm gehandelt wurde, überhaupt kein Kokain war, sondern ein Mix aus estnischem Speed und russischer Medikamentenliste; obendrein bekam man das Zeug bei jedem zweiten Dealer in eine Anzeige für Toyota Camry gewickelt, und Tatarski wurde den quälenden Verdacht nicht los, daß die Typen sich außer mit der Gesundheit anderer Leute auch noch von einer PR-Abteilung bezahlen ließen. Warum er und andere soviel Geld dafür hinlegten, sich dieser demütigenden, unhygienischen Prozedur unterziehen zu dürfen, die im Grunde keine einzige reale Sekunde Genuß einbrachte, sondern nur den unmittelbar einsetzenden und allmählich nachlassenden Abriß, fragte sich Tatarski jedesmal neu. Die einzige Erklärung, die ihm einfiel, war, daß die Leute sich nicht eigentlich den Koks, sondern das Geld reinzogen, und das Röllchen aus einer Hundertdollarnote, die das ungeschriebene Ritual forderte, war womöglich wichtiger als der Stoff. Wäre das Kokain in Apotheken zu haben, dachte er, zwanzig Kopeken das Gramm, als Einreibung gegen Zahnschmerz beispielsweise, dann zögen allenfalls ein paar Punks es sich rein – wie es ja zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts tatsächlich war. Und käme das von minderjährigen Moskauer Schnüffelkids bevorzugte Fläschchen Moment-Kleber plötzlich tausend Dollar, führe augenblicklich die ganze hauptstädtische Jeunesse dorée darauf ab, und auf diversen Präsentationen und Partys gälte es als chic, eine Chemiefahne hinter sich herwallen zu lassen, das Absterben der Neuronen im Kleinhirn zu beklagen und sich für längere Zeit auf die Toilette zurückzuziehen; Lifestyle-Magazine widmeten der Ästhetik einer über den Kopf gezogenen Pla-stiktüte die schrägsten Cover-Stories (mutmaßlicher Autor: Sasha Blo) und brächten ihre Uhren-, Unterhosen – und Parfümwerbung auf subtile Weise darin unter.
    »Oh!« entfuhr es Tatarski, er schlug sich an die Stirn, zog sein Büchlein hervor, öffnete es unter O, schlug sich noch einmal gegen die Stirn, wechselte zu D und schrieb:
    Düfte, youth line (alle Marken). Auf den Nenner Geld und den römischen Kaiser Vespasian bringen (Abortsteuer, Begründung: Geld stinkt nicht!) Visualisierung beliebig. Beispiel:
    Geld stinkt!
BENJAMIN
Der neue Duft von Hugo Boss
    Er verstaute das Büchlein wieder, horchte in sich hinein und spürte, daß das Ärgste überstanden und er durchaus in der Lage war, zum Tresen zu gehen und sich ein Getränk zu holen. Er hatte an

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