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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Pugin.«
    Tatarski faßte sich allmählich wieder und konnte zuhören.
    Es war allem Anschein nach ein geplanter Raubüberfall gewesen, jemand mußte einen Tip gegeben haben, denn die Gangster schienen zu wissen, daß Pugin in New York lange als Taxifahrer gearbeitet hatte. Die Geschichte klang bizarr und nicht sehr glaubhaft: Pugin hatte sich eben in sein Auto gesetzt, war dabei, den Motor anzulassen, als zwei Männer hinten zustiegen und eine Adresse ansagten: Second Avenue, Ecke 27th Street. In einer Art hypnotischem Reflex fuhr Pugin los, bog in eine Seitenstraße – und das war alles, was er der Polizei und den Ärzten noch hatte sagen können. Sein Körper trug sieben Einschüsse, direkt durch die Lehne des Fahrersitzes hindurch. Verschwunden waren ein paar tausend Dollar, die Pugin bei sich gehabt hatte, und irgendeine Mappe – von ihr hatte er in seinen letzten Minuten unaufhörlich phantasiert.
    »Dabei ist die Mappe gar nicht weg«, sagte Chanin traurig. »Sie ist hier. Er hatte sie bei mir liegenlassen. Willst du einen Blick hineinwerfen? Ich muß noch ein paar Anrufe erledigen.«
    Tatarski nahm den Schnellhefter aus farblosem Karton entgegen. Er sah Pugins Gesicht vor sich: ebenso blaß wie der Hefter, dessen schwarze Plastiknieten an die Knopfaugen in diesem Gesicht denken ließen. Enthalten waren offenbar Pugins eigene Arbeiten – er hatte oft genug betont, daß er nicht aus der Warte eines Außenstehenden über fremde Leistungen urteilte. Einiges war in Englisch. Wahrscheinlich hatte er schon in New York damit angefangen. Während Chanin sich am Telefon über irgendwelche Preislisten ausließ, stieß Tatarski beim Blättern auf zwei wahre Meisterwerke. Das erste war für Calvin Klein.
    Hamlet – elegant, leicht feminin (Unisex Styling), schwarze Leggins, lichtblaue Bundjacke auf dem nackten Oberkörper – schlendert über einen Friedhof. Vor einem der Gräber bleibt er stehen, beugt sich nieder und nimmt einen rosa Totenschädel aus dem Gras. Groß: Hamlet, Stirn leicht gerunzelt, in Betrachtung des Schädels. Schnitt. Groß von hinten: das CK-Logo auf Hamlets knackigem Hintern. Schnitt. Groß: Schädel, Hand, CK-Logo auf der blauen Jackenbrust. Schnitt. Hamlet wirft den Schädel ins Gras und kickt mit der Hacke dagegen. Der Schädel fliegt in hohem Bogen durch die Luft und landet wie im Basketballkorb in einem bronzenen Kranz, den ein marmorner Grabengel in der Hand hält. Slogan:
    Just be. CALVIN KLEIN
    Der zweite Slogan, der Tatarski zusagte, war für die Moskauer Filialen der Supermarktkette Gap bestimmt; Zielgruppe war der rund vierzigtausend Personen umfassende anglophone Bevölkerungsanteil der Stadt. Die Plakatidee bestand aus drei Teilen. Zunächst ein Doppelporträt Anton Tschechows, einmal im Nadelstreifenanzug und einmal im Nadelstreifenjackett, jedoch ohne Hose; dabei ergab der Zwischenraum zwischen seinen dürren nackten Beinen die Form einer altertümlichen Sanduhr. Schließlich ein Bild selbiger Sanduhr ohne Tschechow, ein Großteil des Sands im unteren Glas. Und folgender Text:
    Russia was always notorious for the gap
between culture and civilization. Now there is
no more culture. No more civilization.
The only thing that remains is the Gap.
THE WAY THEY SEE YOU.
    Einige Blätter weiter stieß Tatarski auf seinen eigenen Text für Parliament. Augenblicklich wurde ihm klar, daß alles übrige in dem Hefter auch nicht von Pugin war. Seine Phantasie hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein Porträt des Meisters entworfen: maskierter Titan der Werbekunst, der auf Shakespeare ebenso wie auf die russische Geschichte einen Unterhosenreim zu machen verstand. Doch wie bei einem jener Schwermetalle in der untersten Reihe des Periodensystem der Elemente dauerte es nur Sekunden, bis der virtuelle Meister in Tatarskis Bewußtsein wieder zerfiel.
    Chanin hatte sich verabschiedet und aufgelegt. Tatarski sah zu ihm hin und registrierte mit Verwunderung, daß mittlerweile eine Flasche Tequilla, zwei Gläser und ein Tellerchen Zitronenscheiben auf dem Schreibtisch standen. Anscheinend hatte Chanin diese Vorbereitungen beim Telefonieren zuwege gebracht.
    »Friede seiner Seele«, sagte er.
    Tatarski nickte. Sie stießen an und tranken. Während Tatarski ein Stück Zitrone zwischen den Fingern quetschte und angestrengt einen passenden Satz zu formulieren suchte, klingelte das Telefon erneut.
    »Was? Wie?« fragte Chanin den Hörer. »Weiß ich nicht. Das ist eine sehr heikle Angelegenheit. Da fahrt ihr

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