Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
diesem Vorgang zwar beteiligt, aber einer, in dessen Bewußtsein das Ganze angesiedelt sein könnte, fehlt ganz und gar.
    Das schnelle Weiterschalten von einem Fernsehkanal auf den anderen – ursprünglich ein Verfahren, mit dem man das Ansehen von Werbeblöcken zu vermeiden suchte – nennt man Zappen. Die bürgerliche Geisteswissenschaft hat sich recht ausgiebig mit der psychischen Verfassung eines Menschen befaßt, der dem Zappen verfallen ist, wie auch mit dem entsprechenden Denken, das nach und nach in der modernen Welt die Oberhand gewinnt. Die Form von Zappen, die dabei gemeint ist, wird jedenfalls von den Fernsehzuschauern selbst betrieben.
    Etwas gänzlich anderes ist das vom Produzenten betriebene Zappen des Fernsehzuschauers (gemeint ist die zwangsweise Induktion eines Typ-2-Subjekts infolge Technomodifizierung) – eine Form von Gewalt, deren Erforschung in sämtlichen Ländern der Welt praktisch auf dem Index steht – mit Ausnahme von Bhutan, wo Fernsehen ja verboten ist. Dieses Zwangszappen, bei dem der Zuschauer praktisch durch den Fernseher fernbedient wird, ist nicht bloß eine Methode der Erzeugung und Kombination von Bildsequenzen, sondern Grundlage aller Fernsehübertragung und die hauptsächliche Form, in der der Werbe – und Informationssektor auf das Bewußtsein Einfluß nimmt. Darum wollen wir unser Subjekt zweiter Ordnung resp. Typ-2-Subjekt von nun an als Homo zappiens (HZ) bezeichnen.
    Noch einmal diese äußerst wichtige Konklusion: So wie der Fernsehzuschauer umschaltet, wenn er beispielsweise den Werbeblock nicht sehen will, so wird er seinerseits immerfort durch jähe, unberechenbare Technomodifikationen des Bildes umgeschaltet. Als Homo zappiens wird er selbst zum fernbedienten Fernsehprogramm. Und in diesem Zustand verbringt er einen beträchtlichen Teil seines Lebens.
    Brüder im Kampf!
    Die Lage des modernen Menschen ist nicht bloß beklagenswert, sie ist gewissermaßen gegenstandslos, denn dieser Mensch ist so gut wie nicht vorhanden. Nichts ist da, worauf man zeigen könnte und sagen: Da! Das ist der Homo zappiens. Der HZ ist das Nachleuchten einer entschlafenen Seele; er ist ein Film, der vom Drehen eines anderen Filmes handelt und im Fernsehen gezeigt wird, und der Fernseher steht in einem unbewohnten Haus.
    Zwangsläufig erhebt sich die Frage: Wie konnte der moderne Mensch in eine solche Situation geraten? Wer zieht hier die Fäden und verwandelt den ohnehin schon desorientierten Homo sapiens in einen Festmeter Vakuum im Zustand des HZ?
    Die Antwort ist natürlich klar, sie lautet: niemand. Doch wollen wir es nicht beim bitteren Konstatieren der absurden Situation bewenden lassen. Um zu einem tieferen Verständnis zu gelangen, sollten wir uns zunächst der Tatsache erinnern, daß Fernsehen vor allem deshalb existiert, weil es als Werbeträger funktioniert, also mit Geldbewegungen verbunden ist. Wir kommen nicht umhin, uns im folgenden einer Stoßrichtung des menschlichen Intellekts zuzuwenden, die man als Ökonomie zu bezeichnen pflegt.
    Unter Ökonomie ist jene Pseudowissenschaft zu verstehen, die die illusorischen Beziehungen zwischen Subjekten erster und zweiter Ordnung hinsichtlich des eingebildeten Prozesses ihrer imaginären Bereicherung untersucht.
    Vom intradisziplinären Standpunkt aus stellt jeder Mensch eine Zelle in dem Organismus dar, den die Ökonomen des Altertums Mammon nannten. In den Lehrmitteln der Front der Vollständigen und Endgültigen Befreiung VEB (B) heißt er hingegen ORANUS (eine Kompilation aus Os und Anus, der gemeine Russe sagt Freßloch dazu), was seiner wahren Natur angemessener ist und weniger Raum für mystische Spekulationen läßt. Jede dieser Zellen, jeder auf seine ökonomischen Eigenschäften reduzierte Mensch also, verfügt über eine spezielle psychosoziale Membran, durch die das Geld (welches im Organismus des Oranus die Rolle des Blutes resp. der Lymphe spielt) in beide Richtungen diffundieren kann. Vom Standpunkt der Ökonomie ist es die Aufgabe jeder mammonitischen Zelle, durch diese Membran so viel wie möglich Geld herein – und so wenig wie möglich davon hinauszulassen.
    Nun verlangt aber der existentiale Imperativ des Oranus als eines Ganzen, daß seine Zellstruktur von einem stetig anschwellenden Geldstrom durchspült wird. Daher hat der Oranus im Zuge seiner Evolution (in welcher er nicht weiter fortgeschritten ist als, sagen wir, ein Weichtier) eine Art primitives Nervensystem ausgebildet, das sogenannte Media. Dieses

Weitere Kostenlose Bücher