Generation P
oralanalen Wow!-Inhalten gesättigte Informationen resorbiert. Dies läßt die Möglichkeit, sich die Frage nach seiner wahren Natur zu stellen, gar nicht erst zu.
Worin aber besteht sie, seine wahre Natur?
Einer Reihe von Umständen halber, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, ist diese Frage nur von jedem selbst zu beantworten. In welch erbärmlicher Verfassung ein Mensch auch sein mag – die Antwort liegt bei ihm. Für ein Typ-2-Subjekt sieht die Sache insofern anders aus, als es ja real nicht existiert. Trotzdem (und womöglich gerade deshalb) trägt das Media-System des Oranus, welches die drei Wow!-Impulse im Informationsraum verbreitet, die Frage der Selbstverständigung an den HZ heran.
Und hier geschieht nun das eigentlich Interessante und Paradoxe. Da ein Typ-2-Subjekt über keinerlei Innenwelt verfügt, kann es die Frage nach seiner wahren Natur nur auf eine einzige Weise beantworten: Es muß sich eine Identität schaffen – nämlich vermittels der Kombination verschiedener im Fernsehen gezeigter materieller Objekte, die mit ihm offenkundig weder im ganzen noch in Teilen identisch sind. Man könnte diesen Vorgang apophatisch nennen, in Anlehnung an jene Art Gottesdienst, bei dem Gott durch das bezeichnet wird, was er nicht ist – nur daß wir es hier mit einer apophatischen Anthropologie zu tun hätten.
Für ein Typ-2-Subjekt ist Antwort auf die Frage »Was bin ich?« nur in dieser Form denkbar: »Ich fahre das und das Auto, wohne in so und so einem Haus, trage die und die Kleidung.« Es kann sich lediglich durch die Liste von Produkten identifizieren, die es konsumiert, und es transformiert seine Identität durch die Änderung der Liste. Darum werden in der Werbung die meisten Artikel mit einem bestimmten Persönlichkeitstyp, einem Charakterzug, einer Neigung oder Eigenart in Verbindung gebracht. Im Endergebnis entsteht eine durchaus überzeugende Kombination dieser Eigenarten, Neigungen usw., die den Eindruck einer realen Persönlichkeit erwecken kann. Die Zahl möglicher Kombinationen ist praktisch unbegrenzt, das Sortiment nicht minder. Die Werbungformuliertes so: »Ich bin ein ruhiger, selbstsicherer Mensch und kaufe darum rote Pantoffeln.« Das Subjekt zweiter Ordnung, das seine Kollektion von Eigenschaften durch Ruhe und Selbstsicherheit ergänzt sehen möchte, bewerkstelligt dies, indem es sich auf die Notwendigkeit besinnt, rote Pantoffeln zu kaufen, und selbiges unter Einwirkung des analen Wow!-Faktors auch tut. Im Idealfall wird die oral-anale Stimulation zum geschlossenen Kreislauf, die Katze beißt sich auf klassische Weise in den Schwanz: Eine Million Dollar sind nötig, um sich ein Haus in einem teuren Viertel zu kaufen; das Haus ist nötig, damit man weiß, wo man mit seinen roten Pantoffeln herumlaufen soll, die Pantoffeln sind nötig, um Ruhe und Selbstsicherheit zu gewinnen, die man nämlich braucht, um eine Million Dollar zu verdienen, um sich ein Haus zu kaufen, in dem man mit den roten Pantoffeln herumläuft, die einem Ruhe und Selbstsicherheit verschaffen.
Wenn sich die oral-anale Stimulation solchermaßen kurzschließt, darf der Zweck der magischen Werbehandlung als erfüllt angesehen werden: Die Illusion einer Struktur ist entstanden, die kein Zentrum hat, wiewohl alle beteiligten Dinge und Eigenschaften um ein fiktives Zentrum kreisen, und die Fiktion heißt Identität.
Identität – das ist ein Subjekt zweiter Ordnung auf so weit fortgeschrittener Entwicklungsstufe, daß es autonom zu existieren vermag, ohne ständig die drei Wow!-Impulse aktivieren zu müssen – es genügt die Anwesenheit der drei rudimentären Wow!-Faktoren, die das Hirn selbsttätig generiert.
Identität – das ist ein gefälschtes Ego, und damit ist alles gesagt. Das die Lage des modernen Menschen analysierende bürgerliche Denken hält es für eine geistige Großtat, via Identitätsbildung zum eigenen Ego zurückzufinden. Dem mag so sein, insofern beide – ein Ego, relativ gesehen, und eine Identität, absolut gesehen – nicht existieren. Die Crux ist, daß das Woher, das Wohin wie auch das Subjekt in diesem Selbstfmdungsprozeß erfunden sind. Trotzdem darf man Losungen wie »Zurück zum Ego!« resp. »Vorwärts zum Ego!« in dieser Situation wenn auch keinen Sinn, so doch eine ästhetische Rechtfertigung zugestehen.
Der Umstand, daß die drei Wow!-Impulse subtileren Prozessen in der menschlichen Psyche aufmoduliert werden, fabriziert die ganze mittelmäßige Bandbreite der
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