Generation P
modernen Kultur. Eine besondere Rolle spielt hierbei der verdrängende Wow!-Impuls. Er ist wie das Krachen eines Vorschlaghammers, das alles Klingen übertönt. Alle hereindringenden Reize mit Ausnahme des oralen und des analen Wow! werden ausgefiltert, und der Mensch wird gleichgültig gegenüber allem, was keine orale resp. anale Komponente in sich birgt. Auch wenn wir den sexuellen Aspekt der Werbung in dieser kleinen Abhandlung außer acht lassen wollen, sei doch angemerkt, daß Sex oft nur noch aus dem Grund attraktiv ist, weil er die vitale Energie symbolisiert, die zu Geld transformiert werden kann – nicht etwa umgekehrt. Jeder gescheite Psychoanalytiker wird das bestätigen. Letzten Endes mißtraut der moderne Mensch praktisch allem und jedem, was nicht der Aufnahme und Ausscheidung von Geld dient.
Ein äußerliches Indiz dafür ist, daß das Leben zunehmend langweiliger und die Menschen immer trockener und berechnender werden. Die bürgerliche Wissenschaft pflegt den neuen Verhaltenscode so zu erklären, daß man emotionale Energie zu bewahren und zu konservieren versuche und damit den Forderungen der korporativen Ökonomie und der modernen Lebensweise Genüge tue. In Wirklichkeit ist an Emotionen im menschlichen Leben auch heute kein Mangel. Doch führt die stete Einwirkung des verdrängenden Wow!-Faktors dazu, daß die gesamte emotionale Energie des Menschen sich in den psychischen Prozessen verausgabt, die auf die orale und anale Wow!-Thematik eingehen. Viele bürgerliche Experten nehmen instinktiv den Anteil wahr, den die Massenmedien an dem vor sich gehenden Paradigmenwandel haben – doch, um es mit den Worten des Compagnero Allende jun. zu sagen, »suchen sie eine schwarze Katze, die es niemals gegeben hat, in einem finsteren Zimmer, das es niemals geben wird«. Auch dort, wo sie es wagen, das Fernsehen als Prothese für ein ausgedörrtes, abgehalftertes Ich zu bezeichnen, wo sie kundtun, das Media bausche eine mittlerweile irreal gewordene Persönlichkeit auf, gehen sie am Wesentlichen vorbei.
Irreal zu werden bleibt einer Persönlichkeit Vorbehalten, die irgendwann einmal real war. Ausdörren und abhalftern läßt sich nur ein real existierendes Ich. Wie grundsätzlich falsch eine solche Prämisse ist, haben die bisherigen Ausführungen gezeigt (wie auch einige unserer früheren Arbeiten, siehe z. B. Sendero Luminoso und die russische Frage).
Der verdrängende Wow!-Faktor reduziert Kunst und Kultur im dunklen Zeitalter auf die oral-anale Thematik. Die Programmatik dieser Kunst läßt sich auf einen Punkt bringen: Lochfraß.
Ein schwarzer, mit Packen Hundertdollarscheinen vollgestopfter Aktenkoffer ist mittlerweile zum wichtigsten Kultursymbol und zentralen Element der meisten Filme und Bücher avanciert; die Bahn, die er durch unser Leben zieht, ist primär sujetbildend. Besser gesagt, je nach Präsenz des schwarzen Koffers im Kunstwerk bemißt sich das emotionale Interesse des Publikums an dem, was auf der Leinwand oder zwischen den Buchdeckeln passiert. Freilich kommt es vor, daß der Geldkoffer nicht direkt involviert ist; in diesen Fällen wird seine Funktion entweder von mitwirkenden sogenannten Stars übernommen, von denen man weiß, daß sie ihn zu Hause liegen haben, oder von penetranten Verweisen auf Produktionsbudget und Einspielquoten. In Zukunft wird es kein einziges Kunstwerk mehr geben, das »nur so« entsteht; sehr bald schon werden wir es mit Büchern und Filmen zu tun haben, deren hauptsächlicher Inhalt in einer mehr oder minder verdeckten Apologie von Coca-Cola bzw. Aggression gegen Pepsi-Cola – et v. v. – besteht.
Unter Einwirkung des Netzwerks oral-analer Impulsgebung reift im Menschen eine interne Kontrollinstanz, der Auditor (die typisch marktwirtschaftliche Variante des vormaligen »inneren Parteisekretärs«). Er unternimmt eine kontinuierliche Realitätsprüfung, die sich freilich auf die Prüfung der Vermögensverhältnisse beschränkt, und straft ab durch Auferlegung unsäglichen Leidens an kognitiver Dissonanz. Dem oralen Wow!-Impuls entspricht das vom internen Auditor angehängte Etikett loser, dem analen Wow!-Impuls das Etikett winner. Dem verdrängenden Wow!-Impuls entspricht die parallele Ausgabe beider Etiketten.
Einige resistente Identitätstypen lassen sich auflisten: a/der orale Wow!-Typ (vorherrschendes Pattern, auf dem die Organisation des psychisch-emotionalen Lebens fußt, ist das beflissene Streben nach Geld);
b/der anale Wow!-Typ
Weitere Kostenlose Bücher