Generation P
vor, in Moskau für sich werben zu lassen, da die Firma hier keine einzige Boutique betrieb. So baumelte die rustikale Bijouterie an Tatarskis Gewissen wie weiland der Dichter Jessenin an der Kofferschnur, der fruchtbare folkloristische Frühlingsregen in seinem Kopf hörte auf.
Und der Zufall wollte es, daß Tatarski zwei Monate später auch noch die kränkenden Umstände zu seinem vorigen Husarenstück erfuhr: Der Diesel-Händler in spe hatte ihn vermutlich nicht deshalb so üppig entlohnt, weil er den Entwurf tatsächlich verwenden wollte, sondern aus Gründen der Mystik und des Aberglaubens. Sein Partner und Hauptfinanzier hieß nämlich wirklich Tschuk (mit vollem Namen: Tschukowski), und das Honorar für Tatarski war der Versuch, sich vom bösen und durchtriebenen Schamanen, der zu viel wußte, loszukaufen. Tatarski hingegen hatte sich mit der Nachricht zu trösten, daß Tschukowski & Partner nun echt ohne Diesel dastanden – das Rennen um den Subvertrieb hatten andere gemacht.
Schwarze PR (Pi-Ar!), so Tatarskis allmählich reifende Erkenntnis, war nicht einfach nur eine Existenzform natürlichen Lebens auf Proteinbasis in Zeiten der vierten Gewalt, sie war ein weitläufigeres und komplexeres Phänomen. Doch fügten sich diverse Ahnungen über das wahre Wesen der Erscheinung noch in kein ganzes und klares Bild. Etwas fehlte. Sein Büchlein füllten chaotische Eintragungen:
Public relations – Beziehungen von Menschen untereinander. Menschen wollen Geld verdienen, um frei zu sein oder wenigstens zeitweise von ihrem permanenten Leiden erlöst zu werden. Wir Copywriter rütteln die Realität vor den Augen der Zielgruppe so zurecht, daß ihr mal ein Bügeleisen, mal eine Damenbinde »mit Flügeln«, mal eine Fruchtlimonade als Inbegriff der Freiheit erscheint. Dafür bezahlen sie uns. Wir dampfen ihnen das via Bildschirm ein, und sie dampfen es sich gegenseitig ein, und wir kriegen es von ihnen eingedampft – das ist wie eine radioaktive Verseuchung, wo am Ende auch nicht mehr wichtig ist, wer die Bombe gezündet hat. Jeder will jedem beweisen, daß er die Freiheit erlangt hat, und am Ende tun wir schon nichts anderes mehr, als unter dem Deckmantel von Geselligkeit und Freundschaft einander Trenchcoats, Handys und Cabrios mit Ledersitzen aufzuschwatzen. Ein Teufelskreis. Und dieser Teufelskreis heißt »Schwarze PR«.
Tatarski war so in seine Betrachtungen zum Wesen der Erscheinung vertieft, daß er sich nicht wunderte, als Chanin ihn eines Tages auf dem Gang anhielt, am Jackettknopf zu sich heranzog und sagte:
»Ich sehe, du hast dazugelernt. Mit schwarzer PR scheinst du jedenfalls keine Probleme mehr zu haben.«
»Fast keine mehr!« rutschte es Tatarski wie von selbst heraus, da er eben über dieses Thema nachgedacht hatte. »Mir fehlt nur noch irgendwie die Mitte.«
»Die kannst du von mir haben. Was dir fehlt, ist die Einsicht, daß black public relations nur in der Theorie existieren. In Wirklichkeit gibt es nur graue PR.«
»Ach was?« Tatarski wurde hellhörig. »Das ist ja ein Ding. Und was heißt das ganz praktisch?«
»Ganz praktisch heißt das, daß wir zwei noch eine Rechnung offen haben.«
Tatarski zuckte zusammen. Der Wust von Gedanken, der seinen Kopf benebelte, zog augenblicklich ab. Erschreckende Klarheit trat ein.
»Was meinen Sie?« fragte er hoffnungslos.
Chanin packte ihn beim Arm und zog ihn den Gang entlang.
»Du hast von den Diesels vier Zentner Grüne bekommen, stimmt’s?«
»Ja«, erwiderte Tatarski unsicher.
Ganz leicht bog Chanin die gestreckten Mittel – und Ringfinger der freien Hand – gerade so weit, daß der berühmte nonverbale Diskurs des neuen Rußland erkennbar wurde; gerade so weit, daß man dem Frieden noch trauen durfte.
»Jetzt paß mal auf«, raunte er. »Solange du hier arbeitest, startest du unter meiner Flagge. Und zwar in jeder Beziehung. Deshalb steht auf der Rechnung, daß zwei Zentner Grüne mir gehören. Oder hast du vor, auf den freien Markt zu wechseln?«
»Äh, ja . . . Ich meine, das tue ich doch gern«, Tatarski stammelte wie unter Schock, »ich meine, ich würde auf keinen Fall wollen. Das heißt, ich wollte sowieso. Teilen, meine ich. Ich wußte nur nicht, wie ich es Ihnen sagen sollte.«
»Tu dir bloß keinen Zwang an. Sonst könnte man noch auf falsche Gedanken kommen. Weißt du was? Besuch mich doch heute abend zu Hause. Wir trinken ein Gläschen und schwatzen. Kannst die Kohle gleich mitbringen.«
Chanins Wohnung war groß und
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