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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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rote Lampe an. Er setzte sich wieder.
    »Ach, sagen Sie, sind Sie da vielleicht auch außerhalb aufgetreten – auf Aktivtagungen und so?«
    »Ja. Warum?«
    »In Firsanowka?«
    »Da auch.«
    »Dann weiß ich Bescheid«, sagte Tatarski und kippte einen Wodka. »Die ganze Zeit kam Ihr Gesicht mir bekannt vor, ich bin nicht drauf gekommen, woher. Damals hatten Sie aber noch keinen Bart.«
    »Sag bloß, dich haben sie da auch hingeschickt?« fragte Chanin mit belustigtem Staunen.
    »Ein einziges Mal«, erwiderte Tatarski. »Da sind Sie mit einem Mordskater die Bühne raufgetigert, wie das graue Elend, ich dachte: Ein Wort, und er kotzt.«
    »Na, na! Halt dich zurück, in Gegenwart meiner Frau. Aber es stimmt, wir sind eigentlich bloß zum Saufen hingefahren. Goldene Zeiten.«
    »Ja, und dann – von wegen! Eine gepfefferte Rede haben Sie gehalten, Mann! Ich wollte damals gerade am Literaturinstitut anfangen. Das Ganze hat mich richtig runtergezogen. Ich hab Sie beneidet. Weil, mir war klar: So mit Worten jonglieren, das lerne ich nie. Kein bißchen Sinn, aber haut so rein, daß du kapierst. Nicht das, was der da vorne sagt – der sagt ja nichts und will nichts sagen, nein: Du kapierst das Leben. Dazu waren diese Aktivtagungen ja auch da, denke ich. Ich hatte an dem Abend eigentlich ein Sonett schreiben wollen, statt dessen hab ich mich betrunken.«
    »Und worum ging es in der Rede, weißt du das noch?« fragte Chanin. Man merkte, die Erinnerung war ihm angenehm.
    »Irgendwas vom siebenundzwanzigsten Parteitag, die Bedeutung und so.«
    Chanin räusperte sich.
    »Ich denke, Jugendfreunde und Komsomolaktivisten«, sprach er mit lauter und sonorer Stimme, »ich denke, ich muß euch nicht erklären, warum die Beschlüsse des siebenundzwanzigsten Parteitages nicht nur bedeutsam, sondern richtungweisend für uns sind. Nichtsdestoweniger läßt sich feststellen, daß der methodologische Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen sogar unseren Propagandisten und Agitatoren hin und wieder Schwierigkeiten bereitet. Dabei seid ihr, Propagandisten und Agitatoren, die Architekten des morgigen Tages, und bezüglich des Planes, nach dem wir unsere Zukunft zu erbauen gedenken, können wir und könnt ihr euch Unklarheiten nicht leisten, denn. . .«
    Sein heftiger Schluckauf ließ ihn den Faden verlieren.
    »Jawohl!« jubelte Tatarski. »Ich erinnere mich genau. Das Faszinierende war, daß Sie eine geschlagene Stunde den Unterschied zwischen bedeutsamen und richtungweisenden Beschlüssen erläuterten, und jede einzelne These leuchtete sofort ein. Nur wenn man versuchte, zwei von den Thesen auf einmal zu fassen, stand man wie vor einer Wand. Ging nicht. Und mit eigenen Worten sagen ging auch nicht. Andererseits, wenn ich bedenke . . . Weiß man eigentlich, was Just do it! bedeutet? Und worin der methodologische Unterschied zu Just be! besteht?«
    »Sag ich doch!« sagte Chanin und schenkte Wodka nach. »Ist nicht!«
    »Trinkt doch nicht so schnell, Männer!« ließ die bis dahin stumme Lisa sich hören. »Wenigstens könnte einer mal einen schönen Trinkspruch aufsagen.«
    »Genau, einen Trinkspruch, hick!« sagte Chanin. »Aber richtungweisend, nicht bloß bedeutsam. Von Jugendfreund zu Kommunist, daß das klar ist!«
    Sich an der Tischkante festhaltend, stand Tatarski auf. Er sah auf das Plakat, grübelte einen Moment, hob das Glas und sprach:
    »Genossen! Ertränken wir die russische Bourgeoisie – im schönsten Imagequark!«

Die babylonische Marke
    Als Tatarski nach Hause kam, fühlte er sich energiegeladen wie lange nicht mehr. Chanins Entpuppung hatte die ganze jüngere Vergangenheit in eine so merkwürdige Perspektive geschoben, daß sich in dieser Nacht unbedingt noch etwas Großartiges ereignen mußte. Auf der Suche nach der Attraktion ging Tatarski eine ganze Weile in seinen Gemächern um, bis ihm die Briefmarke einfiel, die er im Arme Leute erworben hatte. Sie mußte noch am alten Platz im Schreibtisch liegen – die ganze Zeit war er nicht dazu gekommen, sie sich einzuverleiben, und ein bißchen bange war ihm davor sowieso.
    Er trat also zum Tisch, zog die Lade auf und betrachtete die Marke eingehend. Das Gesicht mit dem Spitzbart grinste ihn an. Der geheimnisvolle Fremde trug eine sonderbare Kopfbedeckung, etwas zwischen Helm und Kappe, mit schmal umgeschlagenem Rand. Der Kappe nach, überlegte Tatarski, wahrscheinlich ein Narr. Es konnte also heiter werden. Weiter überlegte er nicht, steckte die Marke einfach in den Mund

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