Generation P
Sohlen mit der Aufschrift Nike verharrt hat, wird auf die Rückwand des Bettes geblendet. Dort ist ein Stück Zeichenkarton angeheftet, worauf mit schwarzem Filzstift der kometenschweif artige Nike-Swoosh gemalt ist:
Die Kamera fährt tiefer, und man liest den in gleichen Filzstiftbuchstaben darunterstehenden Slogan:
JUST DO IT.
Maljutas Lektüre während der Arbeit am Skript waren die dreckschleudernden Boulevardblätter, die Erzeugnisse der sogenannten patriotischen Presse mit ihren düsteren, skatologisch-eschatologischen Ausdeutungen der Geschehnisse und sonst gar nichts. Dafür ging er anscheinend öfters ins Kino. Seine Variante sah so aus:
Straßenszene eines kleinen, im Dschungel versteckten vietnamesischen Dorfes. Im Vordergrund die landes – und drittewelttypische Nike-Manufaktur – zu entnehmen einem Schild über der Tür: Nike Sweatshop No. 1567903. Tropenbäume im Hintergrund, Glockenklang. (Ein am Lagerzaun hängendes Stück Eisenbahnschiene dient als Glocke.) Vor dem Eingang zur Manufaktur steht ein Vietcong mit Kalaschnikow, er trägt Khakihosen und schwarzes Hemd – man denke an Die durch die Hölle gehn. Detail: Hände an der MPi. Kamerafahrt zur Tür hinein, wir sehen zwei Reihen von Werkbänken, hinter denen die in Ketten geschlagenen Arbeiter sitzen. (Anblick wie in Ben Hur, Galeerenszene). Alle in sagenhaft verschlissener und zerrissener GI-Uniform: die letzten amerikanischen Kriegsgefangenen. Vor ihnen auf den Bänken stapeln sich Nike-Turnschuhe in verschiedenen Stadien der Verarbeitung. Die Gefangenen haben durchweg schwarze Kräuselbärte und Hakennasen. (Der letzte Satz war von Hand zwischen die Zeilen geschrieben – die Idee war Maljuta offenbar nachträglich gekommen.) Sie scheinen mit etwas unzufrieden zu sein – murren erst leise, fangen dann an, mit den halbfertigen Turnschuhen rhythmisch auf die Bänke zu klopfen. Einzelne Rufe: »Wir fordern ein Treffen mit dem US-Konsul!« – »Wir fordern eine Visite des UN-Kommissars!« Plötzlich kracht eine Salve aus der Maschinenpistole, schlägt in die Decke ein, der Lärm verebbt augenblicklich. In der Tür steht der Vietcong im schwarzen Hemd, die qualmende Kalaschnikow im Anschlag. Die Augen aller im Raum Sitzenden sind auf ihn gerichtet. Der Vietcong fährt zärtlich mit der Hand über seine Waffe, dann stößt sein Zeigefinger auf den nächststehenden Tisch, wo die halbfertigen Turnschuhe liegen, und er sagt in gebrochenem Englisch:
»Just do it!«
Sprecher aus dem Off:
Nike. Das Gute siegt!
Variante: »Gut gegen Böse: 2:0«)
Als Tatarski seinen Chef einmal allein im Büro antraf, fragte er ihn:
»Sagen Sie, Maljutas Entwürfe – werden die manchmal genommen?«
»Na klar!« sagte Chanin und legte das Buch weg, in dem er gerade las. »Was dachtest du! Und wenn es hundertmal amerikanische Turnschuhe sind – schmackhaft machen muß man sie der russischen Mentalität. Darum paßt das wie die Faust aufs Auge. Okay, ein bißchen redigieren wir noch dran rum, bis es juristisch wasserdicht ist.«
»Und den Auftraggebern gefällt das?«
»Unsere Auftraggeber sind von der Sorte, daß man ihnen erklären muß, was ihnen gefällt und was nicht. Außerdem: Was meinst du, warum uns der Auftraggeber einen Auftrag gibt?«
Tatarski hob die Schultern.
»Komm, sag schon!«
»Um seine Ware zu verkaufen.«
»Quatsch! Wir sind hier nicht in Amerika.«
»Na dann, um sich groß vorzukommen.«
»Das war vor drei Jahren so«, sagte Chanin in wichtigem Ton. »Heute ist es anders. Heute will der Kunde den hohen Herren, die alles genau verfolgen, was auf dem Bildschirm und im Leben passiert, denen will er zeigen, daß er es sich leisten kann, mir nichts, dir nichts eine Million Dollar in den Mülleimer zu schmeißen. Und darum gilt: Je schlechter die Reklame, desto besser. Dann hat der Zuschauer zwar das Gefühl, daß Auftraggeber und Auftragnehmer einen an der Waffel haben. Aber zugleich«, Chanin hob den Zeigefinger und zog ein weises Gesicht, »saugt sich in seinem Hirn ein Impuls fest, der sagt: Mann, was hat das gekostet. Und unterm Strich weiß der Zuschauer über den Auftraggeber, daß er 1) einen an der Waffel hat und 2) seine Geschäfte so blendend gehen, daß es ihm nichts ausmacht, jeden beliebigen Scheiß x-mal über den Sender zu schicken. Eine bessere Reklame kannst du dir nicht denken. So einem geben sie überall Kredit – ohne mit der Wimper zu zucken.«
»Raffiniert«, sagte Tatarski.
»Tja. Mußt eben nicht so viel
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