Generation P
verschiedenen käuflichen Erwerbungen als Glücksbringer. Also geht der Mensch in den Laden und will Glück kaufen, was aber dort nicht im Angebot ist. Bei der Gelegenheit hat der Lama die Theorie eines gewissen Che Guevara kritisiert. Er sagte, dieser Che Guevara sei kein hundertprozentiger Buddhist und darum auch keine vollgültige Autorität für einen Buddhisten. Und die Welt habe ihm nichts zu verdanken als ein bißchen Geballer aus der Maschinenpistole – und das Logo. Wobei er ja von der Welt auch nichts geschenkt bekommen hat.«
»Du, halt mal die Luft an«, unterbrach ihn Tatarski. »Ich kann dir sowieso nicht folgen, mir brummt der Schädel. Sag mir lieber, was das gestern für ein Mantra war.«
»Das war kein Mantra«, erwiderte Girejew. »Das war ein Satz aus dem Hebräisch-Lehrbuch. Meine Frau lernt Hebräisch.«
»Deine Frau?« fragte Tatarski zurück, und er wischte sich die kalten Schweißtropfen von der Stirn. »Na ja. Du hast einen Sohn, dann wirst du wohl auch eine Frau haben. Und wieso lernt die Hebräisch?«
»Weil sie weg will. Sie hatte vor kurzem eine schreckliche Vision. Nicht auf nem Trip. Rein meditativ. Kurz gesagt, war da ein Stein, auf dem ne nackte Frau lag, und das war Rußland. Und da hat sich über sie, naja, so ein Typ gebeugt, das Gesicht war nicht zu erkennen, aber einen schwarzen Uniformmantel hatte er an, mit Schulterstücken. Und der hat sie . . .«
»Laß mal«, sagte Tatarski, »ich muß sonst kotzen. Ich ruf dich später wieder an.«
»Ist gut.«
»Ach, Augenblick noch. Wieso hast du mir diesen Lehrbuchsatz als Mantra verkauft?«
»Wieso nicht. In dem Zustand ist es völlig egal, was du aufsagst. Hauptsache Ablenkung und ausreichend Wodka dazu. Ein Mantra ohne Initiation kriegst du sowieso von niemandem.«
»Und was heißt der Satz?«
»Warte, ich seh mal nach. Hier steht er: Od melafefon be vakasha. Heißt: Noch eine Gurke, bitte. Ist doch geil, oder? Lupenreines Mantra. Wenn man aus dem Od ein Om macht und hinten noch ein Hum anhängt. . .«
»Okay«, sagte Tatarski. »Mach‘s gut. Ich geh mal Bier holen.«
Der Morgen war kühl und klar; es schien Tatarski, als wehte ihn mit dieser Frische ein heimlicher Vorwurf an. Er trat vor die Haustür und blieb stehen, um zu überlegen. Zum Tag-und-Nacht-Laden zu gehen (bei den Trinkern vor Ort hieß er Zum ewigen Rausch), wo er sich für gewöhnlich mit krisenabfedernden Getränken eindeckte, hieß zehn Minuten Überlebenskampf hin und zehn zurück. Höchstens zwei Minuten brauchte er hingegen bis zu den Buden, wo er damals gejobbt und sich seither tunlichst nicht wieder blicken lassen hatte. Aber jetzt ging es nicht um flaue Gefühle im Magen, sondern darum, ob er weiterleben wollte oder nicht. Tatarski machte sich auf den Weg zu den Buden.
Einige von ihnen hatten schon geöffnet; eine Zeitungsauslage stand davor. Tatarski kaufte drei Büchsen Tuborg und ein Boulevardkäseblatt – letzteres der Anzeigenbeilage wegen, für die er selbst in ärgster Katerstimmung ein professionelles Interesse hegte. Die erste Büchse trank er im Stehen, während er die Zeitung durchblätterte. Die neueste Aeroflot-Reklame erregte seine Aufmerksamkeit: Ein Pärchen schritt eine Gangway hinauf, die in den Wipfel einer mit allerlei Paradiesfrüchten behängten Palme führte. Mann, sind die blöd! dachte Tatarski. Wer verzapft bloß solchen Unsinn? Da will zum Beispiel einer nach Nowosibirsk fliegen und kriegt das Paradies versprochen. Dabei will er dort bestimmt noch nicht hin – könnte immerhin sein, daß er vorher in Nowosibirsk was zu erledigen hat. Fehlte nur noch, daß sie ihre Flugzeuge demnächst auf Ikarus tauften.
Daneben fand sich eine ganzseitige Farbanzeige, die für das amerikanische Restaurant am Plostschad Wosstanija warb. Ein Photo zeigte den Eingang, über dem fröhliche Neonbuchstaben prangten:
BEVERLY KILLS
A CHUCK NORRIS ENTERPRISE
Tatarski faltete die Zeitung, legte sie über eine schmutzige Kiste, die zwischen den Buden stand, setzte sich und öffnete die zweite Büchse.
Ihm wurde augenblicklich leichter. Um nicht den Anblick der Umgebung ertragen zu müssen, heftete Tatarski den Blick auf die Büchse. Unter dem gelben Wort Tuborg war ein Bild zu sehen: Ein dicker Mann in Hosenträgern wischt sich mit einem weißen Tuch den Schweiß von der hohen Stirn. Er steht auf einem schmalen, bis hinter den Horizont führenden Pfad. Der Himmel ist strahlend blau. Kurzum: Das Bild war symbolisch derart überfrachtet, daß
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