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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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die gleiche, und darauf kommt es an. Außerdem ist das Feuer nur so eine Metapher. Gesehen hast du es, weil du den Passierschein für die Müllverbrennungsanlage geschluckt hast. Die Mehrheit begnügt sich mit dem Bildschirm.«
    Danach war der Sirruf weg.
    »He!« rief Tatarski.
    Keine Antwort. Tatarski wartete noch eine Minute, ehe er begriff, daß er mit seinem auseinanderdriftenden Verstand allein war. Ablenkung tat not.
    »Jemanden anrufen!« flüsterte er. »Bloß wen? Girejew! Der wird Rat wissen.«
    Lange nahm keiner ab. Beim fünfzehnten oder zwanzigsten Rufton schließlich meldete sich Girejews mürrische Stimme:
    »Hallo.«
    »Andrej? Grüß dich. Tatarski am Apparat.«
    »Weißt du, wie spät es ist?«
    »Hör mal«, fing Tatarski hastig zu erklären an, »ich sitze in der Patsche. Zuviel Acid geschluckt. Das Fünffache, sagen die Experten. Jetzt komm ich nicht mehr runter von der Geisterbahn. Was soll ich machen?«
    »Was du machen sollst? Weiß ich doch nicht, was du machen sollst. Ich rezitiere in solchen Fällen immer ein Mantra.«
    »Kannst du mir das borgen?«
    »Wie denn borgen. Das funktioniert nur mit Einweihung durch den Lama.«
    »Gibt’s nicht auch was ohne?«
    Girejew dachte nach.
    »Warte einen Moment.« Er legte den Hörer auf den Tisch.
    Minutenlang lauschte Tatarski den fernen Geräuschen, die der elektrische Wind ihm durch den Draht ins Ohr blies. Erst waren Gesprächsfetzen zu hören, wobei eine gereizte Frauenstimme längere Zeit Paroli bot; am Ende wurde alles von schrillem, forderndem Kindergebrüll übertönt.
    »Schreib auf«, meldete Girejew sich schließlich wieder. »Om melafefon be vakasha. Ich buchstabiere: Oh . . . Emm . . .«
    »Ich hab’s schon«, sagte Tatarski. »Was heißt das?«
    »Unwichtig. Konzentriere dich auf den Klang, hörst du? Hast du Wodka im Haus?«
    »Ich glaub, da war noch welcher. Zwei Flaschen.«
    »Die kannst du locker wegtrinken. Verträgt sich sehr gut mit dem Mantra. Nach einer Stunde ist alles vorbei. Ich ruf dich morgen wieder an.«
    »Danke. Sag mal, wer heult da?«
    »Mein Sohn.«
    »Du hast einen Sohn? Wußte ich nicht. Wie heißt er?«
    »Namhai«, antwortete Girejew unzufrieden. »Bis morgen.«
    Tatarski legte auf und stürzte in die Küche, während er die empfangene Zauberformel schnell vor sich hersagte. Er holte eine Flasche Absolut, leerte sie in drei Zügen zu je einem randvollen Glas, spülte mit kaltem Teesud nach. Dann ging er ins Bad – ins Wohnzimmer zurückzukehren, fürchtete er sich. Auf dem Wannenrand sitzend, mit starrem Blick zur Tür, raunte er:
    »Om melafefon be vakasha, om melafefon be vakasha.«
    Der Satz war ein derartiger Zungenbrecher, daß für keinen anderen Gedanken Platz blieb. Es verstrichen ein paar geruhsame Minuten, in denen sich der Alkoholrausch als warme Woge im Körper ausbreitete. Tatarski hatte sich schon fast wieder in der Gewalt, da bemerkte er das bekannte Flimmern in den Augenwinkeln; er ballte die Fäuste und flüsterte sein Mantra schneller, doch der neue Flash war nicht mehr aufzuhalten.
    Wo er eben noch die Badtür gesehen hatte, schien eine kleine Leuchtrakete detoniert zu sein, und als die orangerote Feuerkugel verglüht war, stand vor ihm ein brennender Busch. Seine Zweige brannten lichterloh, so als wäre er zuvor mit Benzin übergossen worden; die breiten, sattgrünen Blätter schienen jedoch unter dem Feuer nicht zu leiden. Tatarski beging den Fehler, näher hinzusehen, und schon streckte sich ihm aus der Mitte des Busches eine geballte Faust entgegen. Tatarski schwankte und wäre um ein Haar nach hinten in die Wanne gekippt. Die Faust öffnete sich. Tatarski erblickte auf dem Handteller vor seiner Nase eine kleine, feuchte, picklige Gurke.
    Als der Busch weg war, wußte Tatarski nicht mehr, ob er nach der Gurke gegriffen hatte oder nicht, jedenfalls hatte er einen deutlich salzigen Geschmack im Mund. Vielleicht war es auch nur das Blut von der aufgebissenen Lippe.
    »Girejew, dein Mantra klemmt«, flüsterte Tatarski und ging in die Küche.
    Er trank noch ein bißchen Wodka (wozu er sich überwinden mußte), betrat das Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Festliche Musik erklang, der blaue Fleck auf dem Bildschirm schwamm auseinander, verwandelte sich in ein Bild. Irgendein Konzert wurde übertragen.
    »Herr-r-r, mein Gott, ich sch-r-rie zu dir!« schmetterte, die aufgerissenen Augen rollend, ein Mann mit gepudertem Gesicht, Fliege und perlmuttglänzender Weste unter dem Frack. Beim

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