Generation P
Singen ruderte er seltsam mit der Hand, so als würde er von einem unsichtbaren Strom Höhenluft hinweggetragen.
Tatarski klickte auf die Fernbedienung, der Typ mit der Fliege erlosch. Ob ich mal bete? dachte er. Wer weiß, vielleicht wirkt es. Er mußte an den Mann auf dem Steinrelief denken, der die Arme gen Sternenhimmel reckte.
Er trat in die Mitte des Zimmers, kniete mühsam nieder, faltete die Hände vor der Brust und hob den Blick zur Decke.
»Herr, mein Gott, ich schrie zu Dir«, begann er leise, »ich bin vor Dir schuldig. Ich führe ein schlechtes, ein falsches Leben, ich weiß. Doch im Grunde meiner Seele will ich nichts Böses, ehrlich. Und diesen Dreck nehme ich nie wieder. Ich, ich möchte so gern glücklich sein, und es will einfach nicht klappen. Vielleicht geschieht es mir recht. Ich kann ja nichts anderes als schlechte Werbesprüche verzapfen. Aber Dir, mein Gott, schreibe ich einen guten! Ehrenwort. Die positionieren Dich doch ganz falsch. Keiner von denen blickt durch. Zum Beispiel dieser letzte Spot, mit dem Geld für diese Kirche gesammelt werden soll. Da steht so eine Omi mit der Spendenbüchse am Straßenrand, und erst wird ihr ein Rubel reingesteckt aus einem klapprigen Saporoshez, und dann kommt einer mit dem Mercedes vorgefahren und steckt hundert Dollar rein. Was sie damit ausdrücken wollen, ist klar, aber die Positionierung ist bescheuert. Einer, der im Mercedes sitzt, stellt sich doch nicht hinter einem Saporoshez an, da lachen ja die Hühner. Und Zielgruppe Nummer eins sind nun mal die Mercedes-Fahrer, eine Spende von denen bringt genauso viel wie tausend milde Saporoshez-Gaben. So geht das nicht. Warte!«
Er kämpfte sich von den Knien in den Stand, wankte zum Tisch, ergriff den Kugelschreiber und schrieb in hüpfenden Krakeln:
Plakat/TV-Spot:
Lange, weiße Limousine vor der Erlöserkirche. Die hintere Tür geöffnet, Lichtkegel von drinnen. In ihm erscheint eine Sandale, die knapp vor dem Asphalt haltmacht, dazu eine Hand auf dem Türgriff. Kein Gesicht zu sehen. Nur das Licht, das Auto, die Hand und der Fuß. Slogan:
JESUS CHRISTUS
Ein solider Herr für solide Herren.
Variante: Fünfsternehotelzimmer. Carrara-Marble-Tisch mit Laptop. Auf dem Bildschirm erscheint die Meldung: Transaction confirmed. Neben dem Computer: zum Röllchen gedrehter Hundertdollarschein und Hotelzimmerbibel, dreisprachig. Slogan:
SHINING WORD FOR YOUR SHINING WORLD!
Wie im Fieber klemmte Tatarski hinter das Wort Variante eine Eins und schrieb weiter.
Variante 2, anderes Setting: Privatflugzeug, Börsenhalle, Manhattan Penthouse, Côte d‘Azur etc. Anstelle der Bibel sehen wir den Erlöser höchstselbst im Lichte Seiner Heiligkeit die Kamera halten. Slogan:
FIRST-CLASS LORD FOR YOUR HAPPY LOT.
Tatarski ließ den Stift fallen, richtete die verweinten Augen zur Decke.
»Herr, mein Gott, gefällt es Dir?« fragte er leise.
Bubi Wowa
Die Liebe Gottes zu den Menschen äußert sich in dem großartigen, in Worte nicht zu fassenden »Es geht ja doch«-Prinzip. »Es geht ja doch« kann eine Menge bedeuten: zum Beispiel, daß dieses Prinzip, obwohl es absolut nicht zu fassen ist, doch gefaßt und doch geäußert werden kann. Und zwar unendlich viele Male, und jedesmal vollkommen neu, davon lebt die Poesie. So ist sie, die Liebe Gottes. Und was hat der Mensch zu erwidern?
Tatarski erwachte schweißgebadet. Warum durch die Fenster so viel erbarmungsloses weißes Licht auf seinen Kopf niederschlug, wußte er nicht. Dunkel erinnerte er sich, im Schlaf geschrien zu haben, wohl auch, daß er sich vor irgendwem zu rechtfertigen gehabt hatte – die üblichen Alpträume während harter Landung. Und die Landung war diesmal so knochenhart und fundamental, daß man auf die erlösenden hundert Gramm Wodka gar nicht erst zu hoffen brauchte. An die sowieso nicht zu denken war, der bloße Gedanke an Alkohol führte zu Würgereflexen. Er konnte von Glück reden, daß die Liebe Gottes in jenem irrational-mystischen Erscheinungszustand, in dem sie ihre zitternden Flügel über Rußland gebreitet hielt (also sprach und pries sie der große Wenedikt Jerofejew), sich seiner leidenden Seele bereits angenommen hatte.
Weich zu landen ging ja doch. Dafür gab es eine spezielle Methode, die man »die Lokomotive« nannte. Generationen von Alkoholikern hatten sie immer mehr verfeinert; Tatarski war eines Morgens nach kolossalem Besäufnis von einem Petersburger Esoteriker eingeweiht worden. Die Methode gehe auf den Meister
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