Generation P
man sich wundern mußte, wie das dünne Dosenblech es aushielt. Aus Gewohnheit begann Tatarski an einem Slogan zu basteln.
Nähern wir uns der Sache! dachte er. Das Leben ist eine einsame Wanderschaft unter der sengenden Sonne. Der Weg, den wir gehen, führt nirgendwohin. Und wir wissen nicht, an welchem Punkt der Tod auf uns lauert. Sobald man daran denkt, wird alles auf der Welt nichtig und klein. Und dann kommt die Erleuchtung. Tuborg. Dem Schicksal ins Auge sehen! Oder: Tuborg. Think final.
Ein Teil des Slogans konnte englisch sein oder lateinisch, auf diesen Trichter war Tatarski ja schon bei seinen allerersten Arbeiten gekommen. Zum Beispiel: Wanderer, verweile! – wie war das doch gleich, irgend etwas mit viator, er konnte im Geflügelten Latein nachsehen. Er wühlte in den Taschen nach einem Stift, den Einfall zu notieren. Er fand keinen. Eben wollte Tatarski einen Passanten darum bitten, da sah er Hussein vor sich stehen.
Husseins Mundwinkel lächelten, seine Hände steckten tief in den samtenen Pluderhosen, die ölig glänzenden Augen waren ohne Ausdruck – er mußte sich gerade einen Schuß gesetzt haben. Äußerlich hatte er sich kaum verändert, war höchstens ein bißchen fülliger geworden. Auf seinem Kopf thronte eine kaukasische Pelzmütze.
Tatarski war die Bierdose aus der Hand gefallen; der symbolische Pfad schlängelte sich gelb über den Asphalt und wurde schnell zu einem dunklen Fleck. Die Gefühle, die ihn überkamen, fügten sich in das eben entworfene Tuborg-Werbekonzept gut ein – nur daß die Erleuchtung auf sich warten ließ.
»Gehen wir!« sagte Hussein und winkte Tatarski mit dem Finger.
Eine Sekunde schwankte Tatarski, ob er sein Heil in der Flucht suchen sollte; vernünftiger war, es nicht zu tun. Soweit er sich entsinnen konnte, waren Husseins Reflexe so beschaffen, daß er alles, was größer als ein Hund und kleiner als ein Auto war und sich schnell bewegte, automatisch als Zielscheibe ansah. Zwar konnte die Langzeitwirkung der Morphine und der Sufi-Musik in seiner Innenwelt inzwischen gravierende Veränderungen hervorgerufen haben, doch hatte Tatarski wenig Lust, die Probe aufs Exempel zu machen.
Husseins Wohnwagen sah auch nicht viel anders aus als früher – hinzugekommen waren blickdichte Vorhänge an den Fenstern und eine grüne Satellitenschüssel auf dem Dach. Hussein schloß auf und stieß Tatarski von hinten sanft zur Tür hinein.
Drinnen war es duster. Ein riesiger Fernseher lief – auf dem Bildschirm drei erstarrte Gestalten unter einer ausladenden Baumkrone. Das Bild zuckte leicht, was darauf hindeutete, daß der Apparat an einen Videorecorder mit gedrückter Pause-Taste angeschlossen war. Dem Fernseher gegenüber stand eine Sitzbank. Auf ihr saß, an die Wand zurückgelehnt, ein Mann in Klubjacke mit goldenen Knöpfen, der sich lange nicht rasiert zu haben schien. Er stank. Die rechte Hand und das rechte Bein hingen mit Handschellen an der Bank fest, was den Körper in einer wunderlichen, halbliegenden Stellung fixierte, die Tatarski an die anale Wow!-Pose eines Fluggastes der Busineß-Class auf einer bestimmten Korean-Air-Reklame erinnerte (wobei der Körper dort so gedreht war, daß man die Handschellen nicht sah). Bei Husseins Anblick ging ein Zucken durch den Mann. Hussein zog ein Handy aus der Tasche und ließ es den Angeketteten sehen. Der schüttelte den Kopf – und jetzt bemerkte Tatarski, daß sein Mund mit einem breiten, hautfarbenen Klebeband verklebt war; jemand hatte mit rotem Markierstift ein Grinsen darauf gemalt.
»Arschgeige«, brummte Hussein.
Er nahm die Fernbedienung vom Tisch und drückte eine Taste. Die Gestalten auf dem Bildschirm begannen sich träge zu rühren – der Recorder war auf Zeitlupe gestellt. Tatarski erkannte die Filmszene, sie hatte sich ihm wegen ihrer politischen Korrektheit eingeprägt. Der Film war eine russische Produktion, spielte in Tschetschenien und hieß, wenn er nicht irrte, Der Gefangene im Kaukasus. Ein junger Russe, Fallschirmjäger in dreckiger Uniform, äugte unsicher nach links und nach rechts, zwei glutäugige kaukasische Paramilitärs in Nationaltracht hielten ihn bei den Armen gepackt, und ein dritter, mit gleicher Mütze, wie Hussein sie trug, legte ihm einen langen, museumsreifen Säbel an die Kehle. Es folgten ein paar Großaufnahmen: die Augen des Fallschirmjägers, die Klinge, wie sie sich der gestrafften Haut anschmiegte (Tatarski vermutete ein gezieltes Zitat aus Bunuels Andalusischem Hund
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