Generation P
dir sagen. Dieser Harley hat eine Abreibung gekriegt, daß er anschließend zwei Wochen im Med-Punkt flachlag. Voller Hammer. Und bis zur Entlassung ist er noch fünfmal vermöbelt worden. Und damit nicht genug . . .«
»Würden Sie mich hier bitte rauslassen?« fragte Tatarski, dem es zuviel wurde.
»Hier kann ich nicht halten«, teilte der Chauffeur mit, »da muß ich wenden. Jedenfalls, beim Vermöbeln ist es nicht geblieben. Nein, nein!«
Tatarski fügte sich in sein Schicksal. Bis der Wagen vor seinem Haus hielt, war er über den Leidensweg des ausländerfeindlichen Sergeanten in so vielen Einzelheiten informiert, daß ihm die geringste Möglichkeit, Mitleid zu empfinden, genommen war – bedarf es doch hierfür immerhin eines kurzen Moments der Identifikation, zu dem sich im gegebenen Fall weder Geist, noch Seele durchringen konnten. Kurz: eine normale Armeegeschichte. Als Tatarski ausstieg, gab der Chauffeur ihm auf den Weg:
»Und deine Idee, sag ich dir rundheraus: Die weiß der Kuckuck. Ich muß meine Benzinkosten reinkriegen und den Schnaps. Dudajew oder Ichdajew – was geht’s mich an. Hauptsache, keiner kommt und haut mir den Kopf auf die Tischplatte.«
Womöglich dieser letzten Worte wegen fiel Tatarski der angekettete Verkehrsmanager mit seinem Lufttelefon wieder ein. Und jetzt im Hausflur ging ihm auf, was die Situation in Wahrheit erforderte. Er blieb stehen, zog die Visitenkarte noch einmal hervor und schrieb auf die Rückseite:
TAMPOCO-AKTIEN!
Heute noch ein Blatt am Baum
Morgen Humus in Ihrer Tasche!
Hieß es nicht, es wäre ein Nadelbaum? dachte er auf der Treppe. Okay. Geben wir dem Mann noch eine Chance. Soll er die Scheine zu Nadeln drehen.
Das Institut für Bienenzucht
Wie es so geht: Eines sonnigen Morgens trittst du auf die Straße, siehst vor dir die große, schöne, rastlose Welt voller vager Verheißungen, über dir den Himmel voller Geigen, und plötzlich kippt in die Seele das durchdringende, in Sekundenschnelle formatierte Gefühl, daß das Leben vor dir liegt, du brauchtest nur hinein – und hindurchgehen, auf die eigene Karte setzen und gewinnen und auf einem weißen Dampfer davontuckern, über die Meere, wenn nicht mit einem weißen Mercedes die Straßen entlangbrausen. Und da ballen sich dir die Fäuste von selbst, und die Muskeln über den Jochbeinen werden hart, und du schwörst dir, du wirst diesem feindlichen Moloch die Zähne zeigen und noch viel, viel Geld aus den Klauen reißen und notfalls jeden, der dir dabei in den Weg kommt, zur Seite fegen, und dann soll es noch einer wagen, dich auf gut amerikanisch einen Loser zu nennen.
Solcherart wirkt in unseren Seelen der orale Wow!-Faktor. Tatarski, der mit einer Mappe unter dem Arm zur Metrostation unterwegs war, begegnete seinem fordernden Gebaren mit Gleichmut. Denn er fühlte sich in der Tat als Loser. Vollidiot, Kriegsverbrecher, minderwertiges Glied in der Kette der biologischen Evolution des Menschen.
Der gestrige Versuch, eine russische Idee zu schmieden, hatte als erster totaler Fehlschlag in Tatarskis Karriere geendet. Zunächst war die Aufgabe ihm unkompliziert vorgekommen, doch kaum saß er am Schreibtisch, merkte er mit Schrecken, daß ihm nichts, absolut nichts zum Thema einfallen wollte. Nicht einmal die Planchette, auf die er in seiner Verzweiflung verfiel, als die Zeiger der Uhr Mitternacht überschritten hatten, wollte ihm helfen. Che Guevara gab zwar Antwort, doch schien die Frage nach der russischen Idee bei ihm nur krude Gedankengänge auszulösen:
Bürger Rußlands!
Gewiß wäre es angebrachter, von einem oral-analen Wow!-Wirkkomplex zu sprechen, denn beide Wirkungen verschmelzen zu einem Impuls, und ausgerechnet dieses Konglomerat von Emotionen wird am Menschen als sozialer Wert gesehen. Wir erlauben uns die Anmerkung, daß die Werbung den quasijungianischen Schlüssel in Einzelfällen dem quasifreudianischen vorzieht: Es kommt vor, daß hinter dem Erwerb materieller Güter nicht der schnöde monetaristische Kopulationsakt steht, sondern die Suche nach einer Magie, die die oral-anale Stimulation in den Hintergrund zu drängen imstande wäre. So könnte einem zum Beispiel eine blaugrüne Zahnbürste irgendwie die Möglichkeit garantieren, gefahrlos vom oberen auf den unteren Balkon zu klettern, ein Kühlschrank rettet einen vor dem sicheren Tod unter den Trümmern eines vom Dach stürzenden Konzertflügels, und eine Dose eingelegte Kiwi verhindert einen Autounfall – doch wird diese
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