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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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sind. Tja. Viele Zecken sind des Jägers Tod.«
    Nicht Trauer, wie es sich für den Moment geziemt hätte, sondern eine an Euphorie grenzende Erleichterung nahm von Tatarski Besitz – und ein bißchen Scham, daß das so war.
    »Jetzt verstehe ich«, sagte er. »Eins von den Autos habe ich vorhin gesehen. Beim letztenmal kam er ja mit einem anderen, darum hab ich an nichts Böses gedacht. Fliegt ja alle Tage irgendwer in die Luft. Jetzt ist mir alles klar. Und was heißt das für uns ganz praktisch?«
    »Betriebsferien«, sagte Chanin. »Auf unbestimmte Zeit. Da steht erst mal eine Entscheidung an. Von Hamletschen Dimensionen. Ich hatte schon drei Anrufe heute morgen.«
    »Von der Polizei?«
    »Von der auch. Und von der kaukasischen Landsmannschaft. Die haben gleich begriffen, daß da wieder eine Firma in der Luft hängt, und Blut gerochen. Wie die Haie. So daß wir uns jetzt konkret entscheiden müssen. Und man muß sehen, die Schwarzärsche decken einen ganz reell, während die Bullen einem letztlich bloß das Geld aus der Tasche ziehen. Ehe die mal zum Gipfeltreffen anreisen, mußt du ihnen dreimal die Stiefel lecken. Und hochgehen kann man bei denen so gut wie bei den anderen. Bei den Bullen sogar noch eher. Wie die mir heute ans Bein pinkeln wollten: › Daß du Diamanten hast, wissen wir ja. ‹ Du lieber Himmel! Wo soll ich denn Diamanten herhaben! Sag, woher?«
    »Weiß ich doch nicht«, sagte Tatarski, dem das Bild mit dem Brillantcollier und der Ewigkeitsgarantie einfiel, das bei Chanin über dem Klo hing.
    »Na schön, ist wirklich nicht dein Bier. Geh hin und freu dich des Lebens. Da wartet übrigens einer auf dich nebenan.«
    »Wer?« Tatarski erschrak.
    »Ein Bekannter von dir. Er sagt, er hätte was mit dir zu bereden.«
    Morkowin hatte sich seit der letzten Begegnung wenig verändert, höchstens, daß die Anzahl grauer Haare links und rechts des Scheitels zugenommen hatte und die Augen etwas trauriger und weiser blickten. Er trug einen gepflegten schwarzen Anzug mit gestreifter Krawatte und passendem Einstecktuch. Als er Tatarskis sah, sprang er auf und breitete lächelnd die Arme aus.
    »Holla!« sagte er, während er Tatarskis Rücken beklopfte, »Babi, wie siehst du denn aus! Absolvierst du deine Quartals-Ölung?«
    »Bin grad wieder am Auftauchen«, sagte Tatarski zerknirscht. »Ich hatte hier so einen Brocken zu bewältigen, daß es anders nicht ging.«
    »Was du mir am Telefon erzählt hast?«
    »Wann?«
    »Weißt du wohl nicht mehr? Dachte ich mir. Du warst ziemlich von der Rolle. Hast behauptet, du schriebest an einer Konzeption für den lieben Gott und kriegtest es deshalb mit der biblischen Schlange zu tun. Und dann wolltest du noch, daß ich dir einen neuen Job besorge – weil du die Nase voll hättest vom weltlichen Ge. . .«
    »Schon gut«, sagte Tatarski und hob die Hand. »Erspar mir den Rest. Ich stecke auch so schon tief genug in der Scheiße.«
    »Brauchst du wirklich einen neuen Job?«
    »Und ob. Uns hängen die Bullen am einen und die Tschetschenen am anderen Bein. Betriebsurlaub ist angesagt.«
    »Na, dann komm. Ich hab Bier im Auto, falls es dich interessiert.«
    Morkowin fuhr einen winzigen blauen BMW, der Tatarski vorkam wie ein Torpedo auf Rädern. Man hing darin mehr, als man saß, Knie vor der Brust, und das Fahrgestell lag so tief, daß die Bauchmuskeln sich unwillkürlich anspannten, wenn das Auto über einen Hubbel fuhr.
    »Hast du nicht Angst, mit so was zu fahren?« fragte Tatarski. »Braucht bloß einer die Brechstange im Kanaldeckel steckenlassen. Oder ein Armiereisen ragt aus dem Asphalt.«
    Morkowin grinste nur.
    »Ich weiß, was du meinst«, sagte er. »Aber bei meinem Job bin ich das Gefühl gewöhnt.«
    Sie bremsten an einer Kreuzung. Auf der Spur rechts neben ihnen hielt ein roter Jeep mit sechs mächtigen Scheinwerfern auf dem Dach. Tatarski spähte zum Fahrer hinauf. Ein Prachtexemplar seiner Art: flache Stirn, mächtige Brauenbögen, durchgehend mit dichter schwarzer Wolle behaart. Eine Hand hielt das Steuer, in der anderen steckte eine Plastikflasche Pepsi. Und da schien es Tatarski plötzlich, als machte Morkowins Auto ungleich mehr her; er spürte, was bisher in seinem Leben äußerst selten vorgekommen war, die Wirkung des analen Wow!-Faktors. Ein atemberaubendes Gefühl, wie er sich eingestehen mußte: Den Ellbogen ins geöffnete Fenster legen, einen Schluck Bier nehmen und dem Jeep-Fahrer so ins Gesicht schauen wie die Matrosen vom Deck eines

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