Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
Flugzeugträgers auf die Pygmäen, wenn sie mit ihrem Floß gepaddelt kommen, um faule Bananen anzubieten. Der Fahrer erwiderte den Blick, sekundenlang sahen sie einander an. Tatarski merkte, daß der Mann im Jeep den Blickwechsel als Herausforderung verstand – als Morkowin endlich aufs Gas trat, kochte auf dem untiefen Grund jener Augen schon die Wut. Tatarski meinte das Gesicht irgendwo gesehen zu haben. Vielleicht ein Filmschauspieler! dachte er.
    Morkowin wechselte auf eine freie Spur und beschleunigte.
    »Ich glaube, ich weiß, warum du so ein Auto fährst«, sagte Tatarski nachdenklich, während er auf die roten Lämpchen im Armaturenbrett schielte.
    »Nämlich?«
    »Wie soll ich es ausdrücken – für einen ausgeglichenen Gefühlshaushalt?«
    Morkowin hob die Brauen:
    »Oho! Könnte man so sagen!«
    Tatarski warf die leere Büchse aus dem Fenster.
    »Sag mal, wohin fahren wir eigentlich?«
    »Zu unserer Organisation.«
    »Was für eine ist das?«
    »Du wirst es sehen. Laß dich überraschen.«
    Ein paar Minuten später hielt der Wagen vor einem Tor, durch das man hinter einen hohen Gitterzaun gelangte. Letzterer wirkte sehr solide, die Stäbe sahen aus wie gewaltige, gußeiserne Speere mit vergoldeten Spitzen. Dem Polizisten in seinem Büdchen wies Morkowin irgendeine Karte vor, und das Tor ging langsam auf. Dahinter lag ein Stalinbau vom Ende der vierziger Jahre – in den Ausmaßen ein Mittelding zwischen mexikanischer Stufenpyramide und bescheidenem, am tiefhängenden sowjetischen Himmel ausgerichtetem Wolkenkratzer. Der obere Teil der Fassade trug reichlich Stückwerk: gesenkte Banner, Schwerter, irgendwelche gezackten Lanzen und Sterne; es erinnerte an vorzeitliche Kriege, den vergessenen Geruch von Pulver und Heldenmut. Tatarski kniff die Augen zusammen und las die gleichfalls in Stuck ausgeführte Inschrift unter der Dachtraufe: Den Helden unsterblicher Ruhm!
    Unsterblicher Ruhm – man muß ja nicht gleich übertreiben, dachte er finster. Eine Rente wäre auch schon ganz schön.
    An diesem Gebäude war Tatarski früher oft vorbeigekommen; vor Zeiten hatte ihm irgendwer erzählt, es sei ein Geheiminstitut, wo neue Waffensysteme entwickelt würden. Daß dies ungefähr der Wahrheit entsprach, bezeugte die goldene Inschrift Institut für Bienenzucht auf einer Tafel mit dem Staatswappen der UdSSR, die noch am Tor hing und wie ein Gruß aus der Antike anmutete. Das Metallschild darunter war unscheinbar, Tatarski hatte es gerade so entziffern können: Bankenaufsichtskomitee für neue Medien.
    Der Parkplatz war fast vollständig belegt; mit Mühe zwängte sich Morkowin zwischen einen riesigen weißen Lincoln und einen silbernen Formel-II-Mazda.
    »Ich möchte dich meinem Chef vorstellen«, sagte Morkowin, als er das Auto abschloß. »Gib dich ganz natürlich. Aber sag nichts Unnötiges.«
    »Was heißt unnötig? Unnötig für wen?«
    Morkowin warf ihm einen schrägen Blick zu.
    »Zum Beispiel diese Rückfrage. Die war absolut unnötig.«
    Sie überquerten den Hof und gelangten durch einen Seiteneingang in eine Halle mit grauem Marmor an den Wänden und unnormal hoher Decke. Ein paar Wächter in schwarzen Uniformen saßen herum. Sie wirkten weit seriöser als gewöhnliche Polizisten, was nicht nur an den geschulterten tschechischen Skorpion-Maschinenpistolen liegen konnte. Nein, es war überhaupt kein Vergleich. Gewöhnlichen Polizisten in ihren blauen Uniformen mit all den langweiligen Knöpfen und Litzen (einstmals die personifizierte Kandare des Staates!) konnte Tatarski seit langem nur noch mit mürrischer Verachtung begegnen, denn dahinter stand nichts – und zwar in einem Maße nichts, daß man sich schwer erklären konnte, wie sie sich noch das Recht herausnahmen, immerzu Autos anzuhalten und Geld zu verlangen. Hingegen war die schwarze Uniform dieser Wachsoldaten ein echter Knaller. Genial hatte der Designer (Paco Raban, wie Morkowin behauptete) in ihr die Ästhetik eines SS-Sonderkommandos mit Zitaten aus den klassischen Filmdarstellungen totalitärer Gesellschaftsutopien einerseits, aus dem Nostalgiefundus schwuler Haute Couture der Freddie-Mercury-Zeit andererseits zu verbinden gewußt. Die wattierten Schultern, die steilen Revers und die Rabelaissche Schamkapsel ergaben einen derart wilden Cocktail, daß man mit den so Gewandeten lieber nicht anbändelte – die Message war noch dem letzten Idioten klar.
    Im Fahrstuhl zog Morkowin ein Schlüsselchen hervor, steckte es in ein eingelassenes

Weitere Kostenlose Bücher