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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Mini-Auftritten, zumeist in Nebenrollen – und er hatte nie gewußt, wer dieser Mann war. Das letzte Mal war er ihm am Abend zuvor begegnet, als er über der russischen Idee brütete und hin und wieder geistesabwesend zum Fernseher sah. Der Mann war in irgendeiner Pillenwerbung aufgetreten: ausstaffiert mit Kittel und Rotkreuzkäppi, ein neckischer blonder Kinn – und Oberlippenbart ins runde Gesicht geklebt – so mußte Trotzki als junger Mann ausgesehen haben. Im Kreise einer furchtbar aufgekratzten Familie am Küchentisch sitzend, hatte er gewichtig seinen Text vorgetragen:
    »Wie leicht kann man heutzutage untergehen in diesem Meer von Werbung! Die noch dazu oft das Blaue vom Himmel verspricht. Bei der Wahl eines Kochtopfs oder Waschpulvers dürfen Sie getrost einmal danebengreifen – wenn es aber um Arzneimittel geht, setzen Sie Ihre Gesundheit aufs Spiel! Wem würden Sie vertrauen: der erstbesten Werbung oder Ihrem Hausarzt? Natürlich! Die Antwort ist klar! Einzig und allein Ihrem Hausarzt, der Ihnen Sunrise-Pillen zur Einnahme empfiehlt!«
    Na schön! dachte Tatarski, der Hausarzt also.
    Der Hausarzt hielt die Hand zum Gruß erhoben; Tatarski sah ein kurzes Plastikröhrchen darin stecken.
    »Laßt euch nieder!« sagte der Doktor mit etwas dumpfer Stimme.
    »Aufs allgemeine Niveau!« erwiderte Morkowin.
    Anscheinend war das der hier übliche Ton, der Gastgeber nickte nur lässig.
    Morkowin nahm zwei weitere dieser Halme vom Tisch, reichte Tatarski einen und machte es sich auf dem Teppich bequem. Tatarski folgte dem Beispiel. Als er saß, warf er dem Gastgeber einen unsicheren Blick zu. Der lächelte freundlich zurück. An seinem Handgelenk saß eine auffällige Armbanduhr, die Glieder des Armbands waren merkwürdig geformt und unterschiedlich groß. Die Aufzugskrone war mit einem kleinen Brillanten besetzt; um das Zifferblatt herum gab es eine dreifache Brillantenspirale. Tatarski erinnerte sich an einen Artikel über teure Uhren, den er in einer radikalen Jugendzeitschrift gelesen hatte. Er schluckte hochachtungsvoll. Der Gastgeber bemerkte den Blick und schaute auf seine Uhr.
    »Gefällt sie dir?« fragte er.
    »Aber ja. Wenn mich nicht alles täuscht, eine Piaget Possession? Soll siebzigtausend kosten.«
    »Ach ja?« Er schaute auf das Zifferblatt. »Tatsächlich. Was sie kostet, weiß ich nicht.«
    Morkowin rümpfte die Nase.
    »Ein untrügliches Zeichen der Zugehörigkeit zu den niederen Klassen der Gesellschaft ist die genaue Kenntnis von Uhren – und Automarken«, verkündete er.
    Tatarski wurde rot und schaute zu Boden.
    Dort bogen und schlängelten sich vor seinem Gesicht die phantastischsten Blütenlanzetten. Und ihm fiel nun auf, daß sie Blütenstaub trugen; zahllose weiße Pünktchen saßen wie Reif auf den Teppichfasern. Er spähte zu Morkowin hinüber. Der hatte sich sein Röhrchen in ein Nasenloch gesteckt, hielt sich das zweite mit dem Finger zu und fuhr mit dem offenen Röhrchenende den Korb einer phantastischen lila Kamillenblüte entlang. Endlich verstand Tatarski, was hier gespielt wurde.
    Für die nächsten Minuten war im Raum nichts als konzentriertes Schniefen zu hören. Schließlich stützte sich der Gastgeber auf den Ellbogen.
    »Na?«, fragte er, Tatarski zusehend, »wie macht es sich?«
    Dieser riß sich los von seiner blaßroten Rose, der er die ganze Zeit selbstvergessen gefolgt war; alle Kränkung war verflogen.
    »Großartig«, sagte er, »ganz großartig!«
    Das Sprechen fiel ihm leicht und bereitete Vergnügen; wenn er beim Eintreten in dieses riesige Kabinett noch eine gewisse Gehemmtheit verspürt hatte, so war diese jetzt spurlos dahin. Das Kokain war echt und beinahe ungestreckt – allenfalls ein ganz milder Beigeschmack von Aspirin ließ sich feststellen.
    »Ich verstehe nur nicht«, redete Tatarski weiter, »wozu dieses Verfahren? Vornehm ist es, keine Frage, aber doch ein bißchen ungewöhnlich!«
    Morkowin und der Gastgeber tauschten einen Blick.
    »Hast du das Schild an unserer Niederlassung nicht gesehen? Institut für Bienenzucht?«
    »Hab ich.«
    »Na, siehst du. Wir sind hier die Bienchen!«
    Die drei brachen in ein einträchtiges Lachen aus und konnten lange nicht aufhören zu lachen, selbst als sie schon nicht mehr wußten, worüber. Ach ja! dachte Tatarski gerührt, es gibt sie noch, die guten Menschen!
    Schließlich verebbte die Fröhlichkeit. Der Gastgeber sah sich um, als müßte er überlegen, wozu er hier war; es schien ihm wieder

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