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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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andere.
    »Könnte man eventuell. . .«
    Asadowski verstand, bevor er ausgesprochen hatte. Grinsend zog er einen Halm aus der Vase und warf ihn vor sich auf die Tischplatte.
    »Blöde Frage!« sagte er und begann die Nummer zu wählen.

Wolke in Hosen
    Seinen Grundton bezog das Großbüro von der Köchin, deren westukrainisch gurrende Stimme aus dem kleinen Etagenbistro fast den ganzen Tag zu hören war. Sie war der Faden, auf den sich alle übrigen Einzelbestandteile der akustischen Wirklichkeit – Telefonklingeln, Stimmen, Faxfiepen und Druckersurren – auffädelten. Und nur an der Peripherie dieses Getöses war Platz für die im Raum befindlichen Gegenstände und Menschen – so zumindest kam es Tatarski in den ersten Monaten vor.
    »Jedenfalls, ich fahre da gestern die Pokrowka lang«, wurde die Sekretärin vom Fisteltenor des zufällig hereingeschneiten Zigarettenkritikers informiert, »an der Kreuzung geht es nicht weiter, Stau wie üblich. Neben mir ein Tschaika. Steigt so ein Supertschetschene aus und guckt in die Runde, als wie: Auf euch tät ich doch vom größten aller Glockentürme runterscheißen. Steht da und spreizt sich, und auf einmal fährt ihm ein Mordsding von Cadillac vor die Nase, und raus krabbelt, du ahnst es nicht, so ein Girlie in zerfetzten Jeans und Stoffturnschuhen und flitzt zum Pepsi-Stand rüber. Kannst du dir das Gesicht von dem Tschetschenen vorstellen? Wenn’s das in Pillenform gäbe!«
    »Wow!« entgegnete die Sekretärin, ohne von den Tasten ihres Computers abzulassen.
    Hinter Tatarski wurde gleichfalls gesprochen, und zwar sehr laut. Einer seiner Untergebenen zog dort seine Show ab, ein ergrauter Parteizeitungsredakteur. Mit röhrendem Baß las er irgendwem in die Gegensprechanlage hinein die Leviten. Tatarski wußte genau, daß die ohrenbetäubende Attacke fideler Erbarmungslosigkeit einzig für ihn bestimmt war, es berührte ihn unangenehm. Die zarte, traurige Stimme aus der Sprechanlage erregte sein Mitleid.
    »Das eine hat er korrigiert, das andere nicht«, sagte sie leise. »Weiß auch nicht, wie das passiert ist.«
    »Ja, ja«, blaffte der Redakteur. »Wo bist du während der Arbeit eigentlich mit den Gedanken? Soll ich dir sagen, wie das passiert ist? Du hast zwei Texte im Pool stehen: Kinderaugen klagen an heißt der eine, Haremswächter gehen fremd der andere, ist das richtig?«
    »Richtig.«
    »Und nun holst du dir die zwei Überschriften in den Zwischenspeicher, änderst den Schrifttyp und liest auf Seite fünfunddreißig plötzlich Haremswächter klagen an – richtig?«
    »Richtig.«
    »Dann müßtest du doch als einigermaßen intelligenter Mensch von selber drauf kommen, daß da jetzt auf Seite vierundsiebzig Kinderaugen gehen fremd stehen könnte! Wer ist hier die Trantüte, du oder ich?«
    »Ich«, bekannte die traurige Stimme.
    Alle beide! dachte Tatarski. Seit dem Morgen plagte ihn eine Depression – wohl weil es draußen nicht aufhörte zu regnen. Er saß am Fenster und schaute zu, wie sich der Autostrom unten auf der Allee durch die Schlammfluten wälzte. Alte, noch zu Sowjetzeiten montierte Lada und Moskwitsch rosteten längs der Bürgersteige wie Unrat, vom Fluß der Zeit an seine schmutzigen Ufer gespült. Der Fluß der Zeit bestand im wesentlichen aus grellfarbigen ausländischen Marken, unter deren Reifen hohe Wasserfontänen hervorschossen.
    Vor ihm auf dem Tisch lagen eine Schachtel Prima Gold in schicker Werbeverpackung sowie ein Stapel Schreibpapier. Gedankenverloren hatte er auf das oberste das Wort Mercedes gemalt.
    Ein Mercedes zum Beispiel, dachte er träge. Klasseauto, nichts dagegen zu sagen. Aber irgendwie ist unser Leben so eingerichtet, daß man selbst damit immer nur von einem Scheißhaufen in den anderen fährt.
    Er neigte den Kopf zum Fenster, so daß er auf den Parkplatz hinuntersehen konnte. Da stand er, sein weißer Mercedes. Erst vor vier Wochen gekauft, aus zweiter Hand, und fing schon an zu mucken. Zweite Hand – wär ein guter Name für ein Prothesengeschäft! dachte er und seufzte, während er zwei Buchstaben auf dem Blatt vor sich ihre Plätze tauschen ließ: Merdeces stand da nun zu lesen.
    Natürlich muß man sehen, setzte der vorige Gedanke sich fort, daß das von einem 500er, vielleicht auch schon von einem 380er Turbodiesel an aufwärts keine Rolle mehr spielt. Denn zu dem Zeitpunkt bist du selber längst ein Haufen Scheiße geworden und mußt nicht mehr achtgeben, ob du in einen reinfährst. Und nicht der Umstand, daß

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