Generation P
Schloß und drückte den obersten Knopf.
»Noch eins«, sagte er, während er sich der Spiegelwand zudrehte und die Haare ordnete. »Du darfst ruhig den dummen Max markieren. Das ist besser, als den Schlauberger raushängen zu lassen.«
»Wieso?«
»Weil sonst die Frage entstünde, warum einer, wenn er so schlau ist, angestellt werden will, anstatt andere anzustellen.«
»Da ist was dran«, sagte Tatarski.
»Und sei schön zynisch!«
»Nichts leichter als das.«
Die Fahrstuhltür ging auf und gab den Blick auf einen Korridor frei. Der graue Läufer mit gelben Sternen mußte irgendeinem Straßenpflaster in Los Angeles nachempfunden sein; Tatarski meinte ein Photo davon gesehen zu haben. Am Ende des Korridors war eine schwarze, unbeschriftete Tür, über ihr hing eine kleine Kamera. Als Morkowin den Korridor zur Hälfte durchschritten hatte, blieb er stehen, zückte sein Telefon und wählte eine Nummer. Zwei, drei Minuten war alles still; Morkowin harrte geduldig aus. Endlich schien jemand abzunehmen.
»Hallo«, sagte Morkowin. »Ich bin‘s. Ja, ich hab ihn mit. Da ist er.«
Morkowin drehte sich um und winkte den scheu an der Fahrstuhltür zurückgebliebenen Tatarski zu sich. Tatarski folgte der Aufforderung und schaute unverwandt und ergeben wie ein Hund in die Kamera. Am anderen Ende mußte ein Witz gerissen worden sein, denn Morkowin kicherte und klopfte Tatarski auf die Schulter.
»Keine Bange«, sagte er, »den kriegen wir hin.«
Der Summer ertönte, Morkowin schob Tatarski durch die Tür, die sich hinter ihnen sofort wieder schloß. Sie standen in einem Foyer. An der Wand hing ein antiker Handspiegel aus Bronze, darüber eine zauberhaft schöne, goldene venezianische Karnevalsmaske. Maske und Spiegel – das hatten wir doch schon mal? überlegte Tatarski. Ein Tag voller Déjà-vus. Unter dem Wandschmuck stand ein Tisch, an dem die Vorzimmerdame saß, eine kühle, vogelhafte Schönheit.
»Grüß dich, Alla«, sagte Morkowin.
Die Dame winkte ihm mit dem Kugelschreiber und betätigte einen Knopf auf ihrem Tisch. Wieder summte es leise, und die hohe, schallgedämpfte Tür am anderen Ende des Foyers öffnete sich.
Im ersten Moment hatte Tatarski den Eindruck, daß in dem großen Kabinett mit Vorhängen vor den Fenstern niemand war. Hinter dem riesigen, auf blitzenden Metallfüßen ruhenden Schreibtisch saß jedenfalls niemand. Darüber – dort, wo in sowjetischen Zeiten das Porträt des Generalsekretärs zu sein pflegte – hing in wuchtigem, rundem Rahmen ein Bild. Das kleine, bunte Quadrat, mittig auf weißem Grund, war von der Tür aus nicht gut zu sehen, doch Tatarski erkannte es an den Farben. Es war der Standard-Aufnäher Made in USA. One size fits all mit der amerikanischen Flagge, wie er ihn auf einem Base-Cap zu Hause hatte. An einer anderen Wand war eine strenge Installation montiert: eine Reihe von fünfzehn Weißblechdosen mit Andy-Warhol-Porträt im Erscheinungsbild russischer Pökelfleischkonserven.
Tatarskis Augen wanderten abwärts. Auf dem Boden lag ein echter Perserteppich mit wunderschönem Muster – es erinnerte ihn an die Ornamente aus einer alten Tausendundeine-Nacht-Ausgabe, die er einmal als Kind gesehen hatte. Den Linien folgend, rückte der Blick in bizarren Schwüngen zur Teppichmitte vor und stieß dort auf den Gastgeber.
Es war ein noch recht junger Mann, klein und rundlich, mit dünnem, nach hinten gestriegeltem rötlichem Haar und einem netten Gesicht, der in denkbar ungezwungener Haltung dort unten lagerte – leicht zu übersehen, da seine Kleidung im Farbton mit dem Teppich fast verschmolz. Er trug ein Jackett Marke »Ballermann, geh du voran«, das weder Berufstracht, noch ganz Pyjama war: ein betont schrilles Teil, fast eine Art Karnevalskostüm, wie es besonders clevere Geschäftsleute sich antun, die beim Partner das Gefühl provozieren wollen, bei ihnen laufe alles so prächtig, daß nichts sie mehr kümmern muß und selbst das skurrilste Gebaren keinen Schaden anrichten kann. Ein greller Schlips irgendeiner Revival-Mode mit unzüchtig auf der Palme hockendem Affen beulte ihm zwischen den Revers hervor und streckte die rosa Zunge bis auf den Teppich.
Doch nicht das Outfit des jungen Mannes war es, was Tatarski am meisten verblüffte – sondern, daß das Gesicht ihm vertraut war, bestens vertraut, obwohl er es kein einziges Mal im Leben leibhaftig vor sich gehabt hatte. Es war ein Fernsehgesicht, bekannt aus Hunderten von Werbespots und anderen
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