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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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einzufallen.
    »Kommen wir zur Sache«, sagte er. »Morkowino, setz dich doch so lange raus zu Alla. Ich will mich mit dem Mann ein bißchen unterhalten.«
    Eilig sog sich Morkowin noch ein Paar Paradiesveilchen in sein Nasenloch, erhob sich und verließ den Raum. Auch der Gastgeber stand auf, reckte sich, trat hinter seinen Schreibtisch und ließ sich in den Sessel fallen.
    »Setz dich!« sagte er.
    Tatarski setzte sich in den angebotenen Sessel gegenüber. Er war sehr weich und so niedrig, daß man in ihm versank wie in einer Schneewehe. Als Tatarski aufschaute, war er perplex. Der Schreibtisch hing über ihm wie der Bug eines Panzers über dem Schützengraben, und dieser Eindruck entstand gewiß nicht zufällig. Zu genau glichen die zwei rechteckigen, mit geriffelten Nickelplättchen beschlagenen Schreibtischfüße den breiten Panzerkettengliedern; dazu kam, daß das Bild im runden Rahmen jetzt direkt hinter dem Kopf des Gastgebers hing und wie der aufgeklappte Lukendeckel wirkte – und da man von hier unten nur Kopf und Schultern sah, war der Effekt vollkommen. Ein paar Sekunden freute sich der Gastgeber, wie die Inszenierung einschlug, dann stand er auf, beugte sich über seinen Panzer und reichte Tatarski die Hand:
    »Leonid Asadowski.«
    »Wladimir Tatarski«, entgegnete Tatarski, versuchte sich ein wenig zu erheben und drückte die weiche, schlaffe Hand.
    »He, du heißt Babilen und nicht Wladimir«, sagte Asadowski. »Wissen wir längst! Aber mach dir nichts draus, ich heiße auch nicht Leonid. Mein Vater war genauso ein Armleuchter. Weißt du, wie er mich genannt hat? Legion. Wahrscheinlich wußte er nicht mal, was das Wort bedeutet. Am Anfang hat es mich gegrämt. Erst als ich erfuhr, daß von mir in der Bibel geschrieben steht, war ich ein bißchen beruhigt. Na, gut.«
    Asadowski raschelte in den Papieren, die über seinen Tisch verstreut lagen.
    »Was haben wir zwei zu bereden? Aha. Ich hab deine Arbeiten durchgesehen. Hat mir gefallen. Große Klasse. Leute wie dich brauchen wir. Nur an manchen Stellen, da fehlt mir der letzte Glaube. Hier, zum Beispiel, schreibst du vom kollektiven Unbewußten. Hast du denn eine Ahnung, was das ist?«
    Tatarski wischte mit den Fingern durch die Luft und suchte nach Worten.
    »Mehr so auf der Ebene des kollektiven Unbewußten«, erwiderte er.
    »Und fürchtest du nicht, jemand könnte sich finden, der es genauer weiß?«
    Tatarski schniefte.
    »Nein, Herr Asadowski, das fürchte ich nicht. Schon deswegen nicht, weil alle die, die es genauer wissen, als Zigarettenhändler auf der Straße stehen. Bildlich gesprochen, meine ich. Ich war auch so ein Zigarettenhändler. Und in die Werbebranche bin ich gewechselt, weil ich die Nase voll davon hatte.«
    Asadowski schwieg einige Sekunden und schien zu überdenken, was er eben gehört hatte. Dann lächelte er.
    »Gibt es irgend etwas, woran du glaubst?« fragte er.
    »Nein.«
    »Na schön«, sagte Asadowski und vertiefte sich wieder in seine Papiere, er hielt jetzt einen vorgedruckten Fragebogen in der Hand. »Was haben wir noch? Politische Ansichten. Wie sieht es damit aus? Hier steht: upper left. Was soll das verdammt noch mal heißen? Soweit sind wir gekommen – demnächst werden die Unterlagen überhaupt nur noch in Englisch abgefaßt. Also, wie siehst du dich politisch?«
    »Linker Rechtszentrist«, sagte Tatarski. »Und das radikal.«
    »Konkret heißt das?«
    »Konkret? Sagen wir so: Ich mag es, wenn das Leben große Titten hat. Aber die sogenannte Kantsche Titte an sich läßt mich völlig kalt, wie viel Milch in ihr auch plätschert. Das unterscheidet mich von selbstlosen Idealisten wie Gaidar.«
    Das Telefon klingelte. Asadowski unterbrach mit einer Geste das Gespräch. Den Hörer am Ohr, lauschte er minutenlang wortlos, allmählich verzog sich sein Gesicht zu einer Grimasse des Abscheus.
    »Sucht weiter!« brummte er, warf den Hörer auf die Gabel und wandte sich wieder Tatarski zu. »Also, wie war das mit Gaidar? Nur bitte kurz, sonst klingelt gleich wieder das Telefon.«
    »Kurz gesagt, halte ich die Kantsche Titte an sich mitsamt ihren kategorischen Imperativen für mausetot. Das einzige, was mich auf dem Tittenmarkt noch locken kann, ist die Feuerbachsche Titte für uns. So sehe ich die Lage.«
    »Genauso sehe ich das auch«, entgegnete Asadowski vollkommen ernsthaft, »lieber eine Nummer kleiner und dafür Feuerbach.«
    Erneut klingelte das Telefon. Asadowski nahm ab, horchte, und ein Strahlen ging über sein

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