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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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die Straßen gehörten ihnen.«
    Beresowski würfelte. Er hatte schon wieder zwei Sechsen.
    »Stimmt nicht ganz«, sagte er. »Heutzutage haben die Leute das, was sie sich einbilden, aus dem Fernsehen. Und wenn du vorhast, zwei Straßen zu kaufen, und nicht hinterher angeschmiert sein willst, dann empfiehlt es sich, als erstes einen schönen Fernsehturm danebenzustellen.«
    Es piepste; an der Ecke des Tisches erschien in einem fertig animierten Klötzchen ein Militärfunkgerät mit langer Antenne. Radujew hob es an sein Kopfscharnier, sagte kurz etwas auf tschetschenisch und stellte es wieder zurück.
    »Ich dagegen werde meinen Fernsehkommentator verkaufen«, sagte er und schnipste einen Chip in die Mitte des Tisches. »Ich kann Fernsehen nicht leiden.«
    »Gekauft«, reagierte Beresowski schnell. »Aber wieso denn das?«
    »Ich mag es nicht, wenn beim Fernsehen zu oft Urin mit der Haut in Berührung kommt«, sagte Radujew, zwischen dessen grünen Pfeilen nun die Würfel tanzten. »Man braucht bloß einzuschalten, schon kommt Urin mit der Haut in Berührung und ruft Reizungen hervor.«
    »Doch nicht mit deiner, Salman.«
    »Das ist es ja«, versetzte Radujew gereizt. »Weshalb muß die Berührung dann in meinem Kopf stattfinden? Können die das nicht woanders?«
    Beresowskis obere Gesichtshälfte überzog sich mit einem Rechteck, worin ein peinlich genau gerendertes Augenpaar erschien. Es schielte flackernd zu Radujew hinüber, blinzelte, dann verschwand das Rechteck wieder.
    »Sag mal, wessen Urin ist das eigentlich?« fragte Radujew – in einem Ton, als wäre die Frage ihm eben erst aufgestoßen.
    »Vergiß es, Salman«, sagte Beresowski besänftigend. »Du bist dran.«
    »Nein, Boris, warte mal. Ich möchte wissen, wessen Urin in meinem Kopf mit wessen Haut in Berührung kommt, wenn ich dein Fernsehen gucke.«
    »Wieso mein Fernsehen?«
    »Wenn die Pipeline über mein Feld läuft, bin ich dafür zuständig, hast du gesagt. Demnach bist du für das Fernsehen zuständig, weil alle Fernsehkommentatoren auf deinen Feldern sitzen. Nun sag endlich: Wessen Urin plätschert in meinem Kopf, wenn ich einschalte?«
    Beresowski kratzte sich am Kinn.
    »Dein eigener, Salman«, rückte er heraus.
    »Wie kommst du darauf?«
    »Ja, wessen denn sonst? Überleg doch mal. Bei deinem Schneid! Man nennt dich in Tschetschenien nicht umsonst den Mann mit der Kugel im Kopf Einer, der es wagte, dir seinen Urin in den Kopf zu pumpen, hätte nicht mehr lange zu leben, vermute ich mal.«
    »Da vermutest du richtig.«
    »Also kann es nur dein eigener sein, Salman.«
    »Und wie gelangt er beim Fernsehen in meinen Kopf? Steigt er aus der Blase hoch, oder was?«
    Beresowski langte nach den Würfeln, aber Radujew bedeckte sie mit der Hand.
    »Erklär mir das«, forderte er. »Dann spielen wir weiter.«
    Ein kleines Quadrat erschien auf Beresowskis Stirn und darin eine tiefe Stirnfalte.
    »Gut«, sagte er. »Ich versuche es.«
    »Ich höre.«
    »Als Allah diese Welt erschuf«, begann Beresowski mit einem flüchtigen Blick gen Himmel, »da hat er ihr zuerst einen Sinn gegeben. Erst danach kamen die Gegenstände an die Reihe. Alle heiligen Bücher besagen, daß am Anfang das Wort gewesen ist. Was heißt das, juristisch gesehen? Juristisch gesehen, heißt das: Allah ging es in erster Linie um Begriffe. Mit der groben Materie sollten die Menschen sich selber befassen, Allah hingegen«, Beresowski blickte wieder nach oben, »Allah befaßte sich mit Ideen. Und das bedeutet, Salman, wenn du im Fernsehen eine Pampers-Reklame siehst, dann schwappt dir nicht der flüssige menschliche Urin ins Hirn, sondern die Idee vom Urin. Die Idee vom Urin kommt mit der Vorstellung von der Haut in Berührung. Kapiert?«
    »Was es nicht alles gibt«, sagte Radujew nachdenklich. »Aber ganz verstanden habe ich die Sache noch nicht. Bei mir im Kopf kommt die Idee vom Urin in Berührung mit der Vorstellung von der Haut, sagst du?«
    »Exakt.«
    »Und die Ideen sind von Allah, nicht die Dinge, sagst du?«
    »Jawohl«, bestätigte Beresowski, dessen Gesicht sich anspannte, das heißt, auf seinen bläulichen Wangen erschienen Animationsflicken, in denen sich die Kaumuskeln strafften.
    »Demnach erfolgt in meinem Kopf die Berührung von Allahs Haut mit Allahs, gebenedeit sei sein Name, Urin? Ja?«
    »Könnte man wohl auch so sagen«, bestätigte Beresowski, auf dessen Stirn wieder der Pop-up mit der Stirnfalte erschienen war. (Im Treatment hatte Tatarski die Stelle mit den

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